Allgemeinverbindlicher Tarfifvertrag oder Haustarifvertrag. Wer hat vorrang?

  • Hallo,

    wir sind ein 5 Gremium aus der Sicherheitsbranche am Flughafen. Bei uns gibt es einen Haustarifvertrag, wo die Löhne geregelt sind. Seit dem 01.04.2013 ist aber ein Lohntarifvetrag für allgemein verbindlich erklärt worden. Soweit ich weiss ist der allgemeinverbindliche vorrangig.


    Der AG streubst sich diesen an zu erkennen. Wer hat jetzr recht?

    Danke

  • Hm, spannende Frage. Das Tarifvertragsgesetz (TVG) ist an der Stelle auf Anhieb nicht hilfreich, da es Haustarifverträge gar nicht erwähnt und auch nicht erklärt, in welcher Reihenfolge sie zu werten sind.

    Nach der Normenpyramide, vom Allgemeinen zum Besonderen, würde ich zunächst vermuten wollen, dass der Arbeitgeber Recht hat. Schließlich ist ein Haustarif auf die Bedürfnisse des Unternehmens (bzw. des Unternehmers) abgerichtet.

    Auf der anderen Seite würde ich mal vermuten, dass ein Blick in den für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag weiterhelfen könnte, denn im § 4 (3) TVG heißt es:

    (3) Abweichende Abmachungen sind nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten.

    Sprich: gibt es in dem für allgemeinverbindlich erklären Tarif eine Öffnungsklausel? Wenn ja, generell oder nur für einzelne Teile? Prüfen was passt und was nicht. Wenn nein, also keine Öffnungsklausel, würde ich die Allgemeinverbindlichkeit auch auf das Unternehmen ausweiten wollen. Eben wegen des eben genannten §. Von Haustarif steht da nichts. Abweichung nur wenn im TV zugelassen. (Punkt!)

    Da unser Arbeitgeber aber schon bei dem Begriff Tarifvertrag Weihwasser en Gros et en masse ordert, kenne ich mich damit nicht wirklich aus.

    Wer fragt ist ein Narr - für fünf Minuten. Wer nicht fragt bleibt ein Narr - sein Leben lang!

  • Hallo

    Wenn ich mir den § 5 Abs. 4 des TVG ansehe würde ich meinen das der Allgemeinverbindliche Tarifvertrag gültigkeit erlangt.

    4) Mit der Allgemeinverbindlicherklärung erfassen die Rechtsnormen des Tarifvertrags in seinem Geltungsbereich auch die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

    Im Erfurter Kommentar 11. Auflage Rn 5 heist es auch:

    Dazu gehören auch anderweitig, tarifgebundene AN und AG.

    Als Rechtsnormen wird auch der Haustarif erwähnt. Rn 6

    Die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt, sei wachsam

    Reinhard Mey

  • Ich hatte so ein ähnliches Beispiel erst kürzlich im Seminar und deshalb bin ich mir da sehr sicher, dass immernoch der Haustarif gilt - denn es muss einem AGe ja möglich sein, für sein Haus individuelle Regelungen vereinbaren zu können.

    Typischerweise passiert das bei Sanierungs-TV o.ä. - so etwas wäre ja ohne das Spezialitätsprinzip gar nicht möglich.


    Hier nochmal zur Verdeutlichung. Quelle: wirtschaftslexikon.gabler.de

    [...] Problematisch ist, welcher Tarifvertrag anzuwenden ist, wenn ein Betrieb die fachlichen Geltungsvoraussetzungen mehrerer Tarifverträge erfüllt (Tarifkonkurrenz). Ebenso tritt das Problem der Tarifkonkurrenz auf, wenn ein Arbeitgeber aus einem Arbeitgeberverband in einen anderen übertritt. Der Arbeitgeber ist dann einerseits an die vom Verband, dem er zuvor angehörte, geschlossenen Tarifvertrag gebunden (§ 3 III TVG), andererseits tritt durch den Beitritt zu dem anderen Verband eine Tarifbindung an die von diesem geschlossenen Tarifvertrag ein (§ 3 I TVG). Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass für einen Betrieb immer nur ein Tarifvertrag gelten soll (Prinzip der Tarifeinheit), und zwar der aufgrund seiner betrieblichen, fachlichen und räumlichen Nähe speziellere Tarifverträge (Spezialitätsprinzip). [...]

  • Hallo Anka,

    ich würde aber die höchstrichterliche Rechtsprechung der Meinung eines Lexikonautors vorziehen wollen...

    Also Zitat aus dem o.g. höchstrichterlichen Urteil:

    "Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind die Fälle der Tarifkonkurrenz, d. h. der Bindung beider Arbeitsvertragsparteien an konkurrierende Tarifverträge, grundsätzlich nach den Regeln der sog. Tarifspezialität zu lösen. Zur Anwendung kommt der speziellere Tarifvertrag, der dem betreffenden Betrieb räumlich, fachlich und persönlich am nächsten steht. Das gilt auch bei einer Tarifkonkurrenz zwischen einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag nach § 5 TVG und einem nicht für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag und für die Fälle der Tarifpluralität, also der Bindung eines Arbeitgebers an mehrere Tarifverträge (BAG, Urteil vom 4. Dezember 2002 - 10 AZR 113/02 - AP Nr. 28 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; a. A. LAG Frankfurt/Main, Urteil vom 14. Juli 2003 - 16 Sa 530/02 - DB 2004, 1786)."

    Soweit hättest Du - und auch das eher ArbGeb-lastige Wirtschaftslexikon - wohl recht. Aber:

    " Der Vorrang des spezielleren Tarifvertrages gilt allerdings dann nicht, wenn der speziellere Tarifvertrag ohne Tarifbindung des Arbeitgebers lediglich einzelvertraglich vereinbart worden ist (BAG, Urteile vom 22. September 1993 - 10 AZR 207/92 - AP Nr. 21 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz und vom 4. Dezember 2002 a. a. O.)."

    Das wäre also - außer für Mitglieder der haustarifschließenden Gewerkschaft - der erste Haken an der Geschichte.

    Weiter:

    "Im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 und 3 AEntG a. F. werden Tarifkonkurrenzen nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts jedoch nach dem Günstigkeitsprinzip gelöst. Die für den
    Arbeitnehmer günstigere Regelung verdrängt die ungünstigere, unabhängig davon, ob der betreffende Tarifvertrag aufgrund vertraglicher Bindung nach § 3 TVG oder aufgrund einer Allgemeinverbindlicherklärung anzuwenden ist (BAG, Urteile vom 20. Juli 2004 - 9 ARZ 343/03 - BAGE 111, 247 und vom 18. Oktober 2006 - 10 AZR 576/05 - BAGE 120, 1). Wird die Tarifkonkurrenz auch bei einer Erstreckung tariflicher Mindestarbeitsbedingungen durch Rechtsverordnung nach dem Günstigkeitsprinzip aufgelöst, ergibt sich für alle Arbeitgeber, die nicht bereits aufgrund anderweitiger Tarifbindung zur Zahlung des Mindestlohnes verpflichtet sind, diese Pflicht aus der unmittelbaren Einbeziehung in den Geltungsbereich des erstreckten Tarifvertrages."

    Beim Sicherheitsgewerbe sind wir im Anwendungsbereich der AEntG.

    So und beim Nachschlagen der aktuellen Fassung des AEntG (das Urteil geht ja von AEntG a.F. aus) wird es eindeutig :)

    §8 AEntG

    (2) Ein Tarifvertrag nach den §§ 4 bis 6, der durch Allgemeinverbindlicherklärung oder Rechtsverordnung nach § 7 auf nicht an ihn gebundene Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen erstreckt wird, ist von einem Arbeitgeber auch dann einzuhalten, wenn er nach § 3 des Tarifvertragsgesetzes oder kraft Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes an einen anderen Tarifvertrag gebunden ist.

    Und da im §4 wird unter Nr. 4 Tarifverträge für Sicherheitsdienstleistungen angezogen werden...

  • Hallo Anka,

    Petrus hat natürlich vollkommen recht mit seiner Argumentation.

    Schließlich wurde das Instrument der Allgemeinverbindlichkeit ja auch geschaffen, um dem Unwesen von Gefälligkeits-TVen sog. "christlicher" Gewerkschaften und anderer AG-höriger Berufsverbände ein Ende zu setzen.

    Das funktioniert aber nur, wenn die allgemeinverbindlichen TVen auch wirklich Vorrang haben.

    Natürlich steht es jedem AG frei, einen Haus-TV mit besserem Niveau als der allgemeinverbindliche TV abzuschließen.

  • Team-ifb

    Hat das Thema geschlossen.