Reisezeit als Ruhezeit?

  • Kann Reisezeit auch als Ruhezeit angerechnet werden?

    Situation:
    Der Mitarbeiter arbeitet tagsüber im Büro, fliegt über Nacht in die USA und beginnt dort noch am selben Morgen mit der Arbeit.

    Ist damit die gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeit von 11 Std. eingehalten? Schließlich sind Reisezeiten keine Arbeitszeit.

    Wer kann helfen !?

  • Mit Urteil vom 11.7.2006 (9 AZR 519/05) hat das BAG festgestellt, dass Reisezeit keine Arbeitszeit i.S.d. § 2 Abs. 1 ArbZG ist, wenn der AN frei entscheiden kann, wie er diese Zeit nutzt.

    Also bleibt unter dieser Vorraussetzung nur die Möglichkeit, dass diese Zeit als Ruhezeit zu werten ist.

    Ob der Kollege auf 11 Stunden Ruhezeit kommt, kann hier wohl kaum beantwortet werden.

  • Zitat von Kokomiko :


    Mit Urteil vom 11.7.2006 (9 AZR 519/05) hat das BAG festgestellt, dass Reisezeit keine Arbeitszeit i.S.d. § 2 Abs. 1 ArbZG ist, wenn der AN frei entscheiden kann, wie er diese Zeit nutzt.

    Also bleibt unter dieser Vorraussetzung nur die Möglichkeit, dass diese Zeit als Ruhezeit zu werten ist.

    Ob der Kollege auf 11 Stunden Ruhezeit kommt, kann hier wohl kaum beantwortet werden.


    Hallo Kokomiko,

    aus meiner Sicht ist das BAG-Urteil für diesen Fall nicht heranzuziehen. Es handelt sich bestimmt nicht um Ruhezeit gemäß §5 ArbZG. Ich bin auch ziemlich sicher, dass das BAG in diesem Fall zu einer anderen Entscheidung kommen wird. Zwar hat das BAG gemeint, dass Reisezeit keine Arbeitzeit ist, aber noch lange nicht darüber entschieden, ob Reisezeit Ruhezeit ist.

    Aus der Praxis wissen wir alle, dass nach einem längeren Flug (>= 3 Stunden) der Körper eher belastet als entlastet ist.

  • .. aber ist nicht jede Zeit, die keine Arbeitszeit iSd ArbZG ist, automatisch eine Ruhezeit iSd ArbZG? Winfried

    "Wenn Arbeit etwas schönes und erfreuliches wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen." (Paul Lafargue)

  • Zitat von Rolf L :


    Es handelt sich bestimmt nicht um Ruhezeit gemäß §5 ArbZG. ... Zwar hat das BAG gemeint, dass Reisezeit keine Arbeitzeit ist, aber noch lange nicht darüber entschieden, ob Reisezeit Ruhezeit ist.

    Rolf,

    ich muss Dich leider enttäuschen. Das BAG hat natürlich auch entschieden, dass Reisezeit = Ruhezeit ist. Alles andere wäre auch widersinnig.

    So bin ich mir sicher, dass das BAG in diesem Fall nicht anders urteilen würde und auch nicht kann.

    Gruß
    Kokomiko


    P.S.
    Innerdeutsche Flüge stressen mindestens genau so, wenn nicht sogar mehr. :wink:

  • Zitat von Kokomiko :


    ich muss Dich leider enttäuschen. Das BAG hat natürlich auch entschieden, dass Reisezeit = Ruhezeit ist. Alles andere wäre auch widersinnig.

    P.S.
    Innerdeutsche Flüge stressen mindestens genau so, wenn nicht sogar mehr. :wink:


    Ich gebe mich geschlagen ohne mit dem Urteil einverstanden zu sein, DENN:

    Wollen die (quasi-) Beamten vom BAG tatsächlich behaupten, dass man nach einem Flug von z.B. sechs Stunden in der Economy-Class seine erholsame Ruhe findet und genauso ausgeruht ist, wie nach sechs Stunden tatsächlicher Ruhephase (schlafen, lesen, fernsehen oder je nach Veranlagung)? Wer das behauptet, hat keine Ahnung von den Verhältnissen in einem Verkehrsflugzeug!

    Zu den innerdeutschen Flügen: Na klar stressen diese Flüge auch stark, aber bei weitem nicht so lange. Höchstens eine Stunde...

  • Zitat von Rolf L :


    Wer das behauptet, hat keine Ahnung von den Verhältnissen in einem Verkehrsflugzeug!


    das sehe ich genau so.
    Ein solcher Flug soll also deshalb nicht als Arbeitszeit, sondern als Ruhezeit zählen, weil " der AN frei entscheiden kann, wie er diese Zeit nutzt"?
    Wenn ich mich für mehr als 2 Stunden in die Economyklasse eines Flugzeuges zwängen muss, dann fühle ich eher eingesperrt als dass ich besonderen Entscheidungsspielraum über die Nutzung der Flugzeit hätte ...

    Ulli

    Ps. Mit dem Lesen von BAG Urteilen habe ich immer so meine Probleme. Es gelingt mir meist nicht in den langen Texten das Wichtige von Unwichtigen zu trennen.
    Ich habe es in diesem Fall wieder einmal probiert. Mein Verständnis ist aber auch in diesem Fall mäßig. Ich lese daraus, dass diese Entscheidung (auch/nur?) darauf zurückzuführen ist, dass es in diesem Fall eine entsprechende tarifliche Regelung gegeben hat, die das Gericht als gültig anerkannt hat. Ob das Urteil ohne diese tarifl. Regelung genau so ausgesehen hätte, vermag ich dann nicht mehr im Urteil wiederzufinden...

  • Hallo Rolf und Ulli,

    Reisebedingungen in einem Flugzeug oder Flugdauer können wohl kaum als Kriterium dafür herhalten, diese Reisezeit als Arbeitszeit zu werten. So erholsam ist eine Fahrt als BeifahrerIn in einem PKW nicht und öffentliche Verkehrsmittel tragen auch nicht zwingend zur Entspannung bei.
    Innerdeutsche Flüge sind nur aufgrund einer kurzen Flugdauer ebenfalls nicht besonders stressfrei. Fliegt mal mehrmals pro Monat Kurzstrecke ... ich für meinen Teil bin froh, dass ich das nicht mehr tun muss.

    Unabhängig davon gibt es in unserer Rechtsprechung inzwischen keinerlei Diskussion mehr darüber, ob oder ob nicht passive Reisezeit als Ruhezeit zu werten ist. Arbeitszeit i.S.d. ArbZG ist ausschließlich die Zeit, in welcher ein AN durch Arbeitstätigkeit beansprucht wird oder sich bereithalten muss, die Tätigkeit umgehend aufzunehmen (= Bereitschaftsdienst). Wird ein AN während einer Rufbereitschaft (RB) nicht in Anspruch genommen, zählt auch die Zeit der RB komplett als Ruhezeit.

    § 2 Keine Arbeitszeit sind Dienstreisen, d.h. Fahrten an einen anderen Ort, um dort Dienstgeschäfte zu erledigen. Eine Ausnahme kann nur dann gelten, wenn auf der Reise Arbeit im eigentlichen Sinn geleistet wird (Abhaltung von Konferenzen, Bearbeitung von Akten).

    § 5 Die Ruhezeit liegt nach der Beendigung der täglichen Arbeitszeit, praktisch zwischen Ende der Arbeitszeit und Wiederbeginn der Arbeit ohne Rücksicht auf die Tageszeiten. die 11 Stunden brauchen sich nicht auf den Kalendertag zu beziehen, sondern können sich auch in den nächsten Tag hineinziehen.
    Zitate aus Beck´schem Kommentar Neumann/Biebl ArbZG

    Gruß
    Kokomiko

  • Erst mal sorry, dass ich den alten Thread wieder rauskrame, aber genau das Thema beschäftigt mich auch gerade.

    Dass reine Reisezeit (ohne z.B. selbst am Steuer zu sitzen) per Gesetz nicht als Arbeitszeit zu werten ist, ist klar.

    Aber zum Thema Ruhezeit finde ich im Erfurter als Rn1 zu §5 ArbZG:

    "In seinem Urteil vom 9.9.2003 hat der EuGH die europarechtl. geforderte Beschaffenheit der Ruhezeit konkretisiert. Danach darf der AN während der Ruhezeit ggü. seinem AG keiner Verpflichtung unterliegen, die Ihn daran hindert, frei und ohne Unterbrechung seinen eigenen Interessen nachzugehen."


    Ich interpretiere daher Reisezeit = Ruhezeit zumindest als fragwürdig. Die reise macht man ja in Verpflichtung ggü. dem AG. Zudem ist es m.E. fragwürdig ob "frei" + "eigene Interessen" zutreffen, wenn ich in einem Flieger sitze oder auch im Zug.


    Konkreter Fall: Abreise 5:00Uhr, Rückkehr 24:00 Uhr selber Tag, mit Beginn der Rückreise um 20:30Uhr. Nächster Tag um 8:00 Uhr wieder im Büro. Ist die Ruhezeit eingehalten?

    Gruß
    Wombatz

  • Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich mit dem Thema, das immer wieder zu juristischen Auseinandersetzung führt, natürlich längst beschäftigt. Ergebnis: Es kommt darauf an, was der Arbeitnehmer während der Dienstreise im Wortsinn macht.

    Sitzt er beispielsweise nur in der Bahn oder im Flieger, liest eine private Zeitschrift, isst oder döst, so gilt die Reisezeit als Ruhezeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes.

    Eine Ruhezeit ist jener Zeitraum, in dem der Arbeitnehmer nicht arbeiten muss. Also eben auch dann, wenn der Chef zwar die Nutzung solch öffentlicher Verkehrsmittel anordnet, nicht aber auch noch, welche Aufgaben während der Fahrt erledigt werden müssen.

    Wer also seine Zeit nach Belieben gestalten kann, solange er unterwegs ist, der verbringt dort keine Arbeitszeit und kann dafür auch keine Vergütung verlangen.

  • Zitat von lautlos

    Wer also seine Zeit nach Belieben gestalten kann, solange er unterwegs ist, der verbringt dort keine Arbeitszeit und kann dafür auch keine Vergütung verlangen.


    Darüber könnte man sicherlich endlos philosophieren, ob ich im Flugzeug oder Zug meine "Freizeit" nach Belieben gestalten kann ... Aber das nur am Rande ;)

    Ich habe zwar keine Lösung, bin aber zufällig gerade über einen Artikel gestolpert, der sich mit diesem Thema befasst:

    http://www.bund-verlag.de/zeit…12/Kurz-gefasst-10013011/

    und auch hier steht einiges über Dienstreisen:

    http://www.boeckler.de/pdf/mbf_bvd_dienstreisen.pdf

    Es gibt leider keine Lösung oder Urteile, aber vielleicht hilft es ein wenig weiter.


    Gruß
    Silex

  • Team-ifb

    Hat das Thema geschlossen.