Vertrauensarbeitszeit - trotzdem "arbeitsfreie Tage"?

  • Mahlzeit,

    bei uns arbeitet ein Teil der "Vertrauensarbeitszeitler" nicht im Vertrieb, sondern in klassischen Bürojobs. Über persönliche Zeiterfassung haben wir nun das bestätigt gefunden, was wir immer vermutet haben, dass nämlich deutlich mehr als die im Arbeitsvertrag vereinbarten 8 Stunden im Schnitt (nämlich 9,6 Stunden) gearbeitet wird.

    So haben sich bei einigen Kollegen aufgrund des Arbeitsanfalls innerhalb weniger Monate dreistellige Stundensalden aufgetürmt, die natürlich nicht registriert werden, sondern verfallen.

    Jetzt die heikle Frage: Unsere BV Gleitzeit nimmt diese Kollegen aus, d. h. es gilt das was im Arbeitsvertrag steht ("....beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 40 Stunden. Etwaige Mehrarbeit wird nicht zusätzlich vergütet, sondern ist durch das monatlich zahlbare Gehalt mit abgegolten...).

    Ist es im Rahmen der arbeitsvertraglichen Regelungen möglich, Überstunden über einen freien Tag, quasi Gleittag, auszugleichen oder muss dafür eine separate BV her? Könnte der AG einem Kollegen rechtliche Gründe gegen einen freien Tag entgegen halten?

    GRuss

    Christian

  • Hallo butzeman,

    eine derart pauschale Verfallregelung für ÜStd. ohne Obergrenze dürfte sich im Rahmen einer AGB-Kontrolle als rechtsunwirksam erweisen.

    Die Mißstände bei der "Vertrauensarbeitszeit" sollten Euch veranlassen, die BV sofort zu kündigen.
    Alle einschlägigen Untersuchungen bestätigen, daß VertrauensArbZ tendenziell zur Selbstausbeutung führt und langfristig nur dem AG nutzt

  • Hallo butzeman,

    zu der Formulierung im AV mit der Klausel "alle Überstunden sind mit der Vergütung abgegolten" ist mangels näherer Bestimmung des Umfangs der geschuldeten Arbeitsleistung intransparent im Sinne von §307 Abs.2 Satz 2 BGB und deshalb gemäß § 306 Abs.1 BGB unwirksam. Siehe auch neues Urteil BAG vom 01.09.2010 -5AZR 517/09. Das zum Einen.

    Zum Zweiten, Vetrauensarbeitszeit stellt im Extremen eine Arbeitszeit-Flexibilisierung dar, bei der die Arbeitszeit als Maßstab für Leistung und Entgeld aufgehoben ist. Die Arbeitszeit bestimmt sich nach der zu erbringenden Aufgabe. Auf Arbeitszeitkonten, Zeiterfassung, Mehrarbeits- und Freizeitanträge kann dann weitgehend verzichtet werden. Es wird in diesem Model sehr häufig über eine zunehmende Leistungsverdichtung und einem mangelnder Ausgleich berichtet. Hier sollte die BV nochmal richtig unter die Lupe genommen werden, um das "Vertrauen" rechtlich verbindlich zu regeln.

  • Vielen Dank für Eure Antworten, ich denke wir müssen hier eine BV für die Vertrauensarbeitszeit haben oder unsere bestehende ausweiten.

    Nicht beantwortet ist aber meine Frage, ob mit der ausschließlichen arbeitsvertraglichen Regelung (siehe oben)etwas gegen "freie Tage" im Rahmen der Vertrauensarbeitszeit spricht. Das ein freier Tag abgesprochen wird, ist natürlich klar, nur: geht das überhaupt oder ist das dann unentschuldigtes Fehlen am Arbeitsplatz??

    Jemand eine Idee?

    Christian

  • Der Arbeitsfreie Tag ist auch in der Vetrauensarbeitszeit natürlich möglich.
    Ich glaube hier besteht ein Verständnisproblem. Der MA entscheidet ob er zuhausen bleiben kann oder nicht(natürlich in Absprache mit AG). Die imagieneren Plusstunden müssen trotzdem abgebaut werden.
    Du musst Dir das so vorstellen als würden alle Arbeitszeitkonten weiter existieren. Das heisst wenn ich 4 Tage überstunden gekloppt habe, kann ich am 5 Tag doch zuhause bleiben wenn mein Chef das so mit mir abstimmt. Der MA sollte um sich selbst zu schützen ein eigenes Arbeitszeitkonto im geheimen führen. Könnte hilfreich sein wenn es zu Konflikten kommt oder zur Beweispflicht.

    Zu Deiner Frage: Ja es geht, das ist kein unent.Fehlen.

  • Zitat von Bartender :


    Auf Arbeitszeitkonten, Zeiterfassung, Mehrarbeits- und Freizeitanträge kann dann weitgehend verzichtet werden.

    VETO!

    Wie soll der AG denn die Einhaltung des ArbZG, insbesondere §3, §5 und §16 Abs. 2 überwachen? Insbesondere im letzten § ist diese Last dem AG aufgegeben: "Der AG ist verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit des §3 Satz 1 hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen und ein Verzeichnis der AN zu führen, die in eine Verlängerung der Arbeitszeit gemäß §7 Abs. 7 eingewilligt haben. Die Nachweise sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren."

    Gruß
    Rolf

  • Rolf

    Vertrauensarbeitszeit ist momentan viel diskutiert. Immer wieder
    werden in der Fachöffentlichkeit Konzepte und Ansätze veröffentlicht.
    Eine einheitliche Definition von Vertrauensarbeitszeit gibt es (noch)
    nicht. Die Arbeitshypothese für die vorliegende Auswertung lautet:
    Unter Vertrauensarbeitszeit verstehen wir ein Modell flexibler Arbeitszeit,
    bei dem die Beschäftigten Beginn, Umfang und Ende der täglichen
    Arbeitszeit selbst festlegen und eine Arbeitszeiterfassung – mehr oder
    weniger – unterbleibt. In den ausgewerteten Vereinbarungen verzichten
    die Betriebsparteien in den meisten Fällen auf eine Definition. Eine der
    wenigen Ausnahmen lautet wie folgt.
    »Vertrauensarbeitszeit ist dadurch definiert, dass der Arbeitgeber auf
    die Kontrolle der Einhaltung der Vertragsarbeitszeit verzichtet und
    darauf vertraut, dass die Mitarbeiter ihren arbeitszeitbezogenen vertraglichen
    Verpflichtungen auch ohne diese Kontrolle nachkommen.«

  • Es wird über alles mögliche viel diskutiert. So lange es davon keine Rechtsprechung bzw. ein Gesetz gibt, muss man sich an die bis heute gültigen Gesetze halten. Spekulation ist zulässig hilft aber im Streitfall nicht weiter.

    Ich würde mich als BRM weigern, eine BV über Vertrauensarbeitszeit, insbesondere auch noch ohne Zeiterfassung, abzuschließen.

    Gruß
    Rolf

  • Hallo Rolf,

    wie eben schon geschrieben:
    »Vertrauensarbeitszeit ist dadurch definiert, dass der Arbeitgeber auf
    die Kontrolle der Einhaltung der Vertragsarbeitszeit verzichtet und
    darauf vertraut, dass die Mitarbeiter ihren arbeitszeitbezogenen vertraglichen
    Verpflichtungen auch ohne diese Kontrolle nachkommen.«

    Wenn ich einen AV eingehe und mein AG sagt, "ich verlange von Dir 40 Stunden, wie Du diese Zeit einteilst und erbringst überlasse ich Dir" ist das im Zuge des §106 GewO legitim, wenn hier auch noch eine BV existiert ist das perfekt.

    Wir haben hier bei uns auch eine BV Vetrauensarbeitszeit. Hier verhält es sich aber anders. Hier hat der AG das nachsehen. Es gibt Tage da sind die Meisten am Abfeiern und keiner weiss wann die Überstunden dazu aufgebaut worden sind.
    Aber das ist das Problem des AG.
    Wenn Kollegen wie oben beschrieben aber nur noch Stunden kloppen weil sie mit Ihrer Arbeit nicht mehr hinterherkommen liegt das daran, dass wahrscheinlich zu wenig MA beschäftigt sind. Das ist ja in den meisten Betriben ein chronisches Problem, an dem der BR mit dem AG arbeiten muss.

  • Hi,

    als Flexibilisierungsmodell halte ich nicht viel von Vertrauensarbeitszeit. Bisher habe ich noch nicht gehört/gelesen das davon ArbeitnehmerInnen profitiert hätte. Eine gute Darstellung was Vertrauensarbeit in der Praxis bewirkt unter

    http://cogito.web.officelive.com/krokodil.aspx


    Rechtlich muss der Arbeitgeber immer noch die Arbeitszeiten aufzeichnen, weg fällt im Endeffekt nur die Mitbestimmung.

  • Hallo Norne,

    selbstverständlich muss das jeder für sich entscheiden.
    Wie gesagt, bei uns läuft das Model sehr erfolgreich und auch die MABefragung dazu bestätigt dies. Ich will garnicht ausschließen, dass es in manchen Betrieben nicht nur zum Vorteil der MA genuzt werden kann.
    Dein Beispiel mit dem Krokodil ist sehr interessant aber mann kann hier auch wieder sehr vieles entgegensetzen.
    Man muss einfach eine gute BV zu diesem Thema ausarbeiten damit das Vetrauen, wie ich oben schon geschrieben habe, rechtlich geregelt ist und dann auch so gelebt werden kann.

  • Zitat von Bartender :


    Man muss einfach eine gute BV zu diesem Thema ausarbeiten damit das Vetrauen, wie ich oben schon geschrieben habe, rechtlich geregelt ist und dann auch so gelebt werden kann.

    Moin Bartender,

    irgendwie reden wir immer aneinander vorbei:

    Wie haltet ihr das Arbeitszeitgesetz ein? Wenn ihr nicht stempelt, wie wird dann die Arbeitszeit überwacht? Wobei mehrfach in der Rechtsprechung darauf hingewiesen wird, dass die Überwachung dem AG obliegt!!!

    Da hilft auch keine noch so gute BV und Good-Will aller Mitarbeiter und Führungskräfte!

    Gruß
    Rolf

  • Hallo Rolf,

    wir haben eine BV in der steht:

    §4 Aufzeichnung der Arbeitszeit, Abwesenheit
    (1) Die MA führen selbst einen vereinfachten Nachweis ihrer Arbeitszeit zur Dokumentation gegenüber Dritten (z.B. Gewerbeaufsichtsamt). Im Falle von Beanstandungen durch Dritte erfolgen keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen durch den AG. Diese Aufzeichnungen sind 2 Jahre lang auf zu bewahren.

    (2)AG stellt ein entsprechendes Formular zur Verfügung.

    (3)eine darüber hinaus gehende Arbeitszeiterfassung findet nicht statt.

    (4)Abwesenheiten, wie z.B Krankheit, Urlaub oder Mutterschutz sind zu Dokumentieren.

    Das heisst der AG hat die Dokumentation auf den MA übertragen.Eine Dokumentation findet ja statt.

    Ebenso ist eine Überlastsituation geregelt:
    §5 Überlastsituation
    (1) Der Vorgesetzte hat bei einem vom MA als Überlastsituation bewerteten Sachverhalt die Pflicht, mit dem MA ein Gespräch über die Ursachen zu führen mit dem Ziel, zusammen mit dem MA geeignete Maßnahmen zur Beseitigung der ggf. bestehenden Überlawstsituation zu vereinbahren. Der MA hat das Recht den BR hinzuzuziehen. Über das Gespräch ist ein Protokoll zu fertigen, von dem der MA und BR eine Kopie erhalten. Nach einem im rahmen dieses Gespräches festzulegenden Zeitraum findet ein erneutes Gespräch statt, in dem überprüft wird, ob die vereinbarten Maßnahmen erfolgreich waren.

    Hier gibt es auch eine schöne Definition:
    http://www.arbeit.nrw.de/pdf/a…vertrauensarbeitszeit.pdf

  • Hallo Bartender,
    wir verhandeln im Moment (schon seit einem Jahr :roll: ) mit unserem AG die Regeln zur Vertrauensarbeitszeit und stossen dabei u.a. auch auf das Problem der Aufzeichnungspflicht.
    Ein anderes Problem ist die in den Arbeitsverträgen festgelegte, wöchentliche Arbeitszeit von zumeist 40 Stunden. Einige Mitarbeiter (besonders solche mit Familie) möchten eine flexible Arbeitszeit bzgl. täglicher Dauer und Lage, aber im Schnitt möchten sie ’nur’ 40 Stunden arbeiten, also das Recht haben, Mehrarbeit in der einen Woche, zeitnah in der nächsten Woche wieder ausgleichen zu können. Diese Mitarbeiter wollen wir darin gern unterstützen. Eine echte Vertrauensarbeitszeit ist das natürlich nicht. Habt ihr in eurer BV auch die Bedürfnisse dieser Mitarbeiter adressiert?

    Beste Grüße
    moadib-2709

  • Hallo Moadib,

    die Bedürfnisse der MA können durch das richtige leben in der Veratrauensarbeitszeit ansich schon gedeckt sein.

    Der Grundsatz ist ja erstmal, dass ich meine vertraglich geschuldete Arbeitszeit in einem Zeitfenster leiste. 40h Vertrag = 5x8h in der Woche
    Aufgrund von betrieblichen oder persöhnlichen Gründen kann ich hier doch variieren wie es mir beliebt außer komplett freinehmen, dies ist mit dem Vorgesetzten abzusprechen. Spricht also nichts dagegen in der einen Woche Überstunden zu machen und in der Folgewoche die Arbeitszeit um die Überstunden zu kürzen.
    Wenn Du möchtest, kann ich Dir unsere BV gerne zusenden.

  • Zitat von Bartender :


    Aufgrund von betrieblichen oder persöhnlichen Gründen kann ich hier doch variieren wie es mir beliebt außer komplett freinehmen, dies ist mit dem Vorgesetzten abzusprechen. Spricht also nichts dagegen in der einen Woche Überstunden zu machen und in der Folgewoche die Arbeitszeit um die Überstunden zu kürzen.

    Genau das ist der Punkt: Betriebliche Gründe können immer vorgeschoben werden, dass Überstunden "unumgänglich" sind, während im Gegenzug jedoch erst die Genehmigung des Vorgesetzten vorliegen muss, wenn ein Mitarbeiter einen Gleittag nehmen möchte. Die Eigenverantwortung des Mitarbeiters wird einseitig aufgehoben.

    Ich kann es immer nur betonen: Kein AG führt die Vertrauensarbeitzeit ein, weil er seinen MA was Gutes tun möchte. Der AG sieht darin weitaus mehr Vorteile als Nachteile. Vorteile für die eine Seite ziehen unweigerlich Nachteile für die andere Seite nach sich.

    Ich als BR würde NIEMALS eine BV "Vertrauensarbeitszeit" mittragen! Nach meiner Meinung würden die meisten BVen zu dem Thema einer arbeitsrechtlichen Prüfung nicht standhalten.

    Gruß
    Rolf

  • Team-ifb

    Hat das Thema geschlossen.