BV Arbeitszeit - Verhältnis zu anderen Dokumenten, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Arbeit an Weihnachten und Silvester

  • Hallo zusammen,


    es gibt in unserem Betrieb ein Dokument, das schon vor der Gründung des Betriebsrates (BR) und Betriebsvereinbarungen (BV) zu diversen Themen existierte.


    Das Dokument heißt Mitarbeiterhandbuch, ist ein gelenktes Dokument und wird momentan von der Personalabteilung und dem Qualitätsmanagement überarbeitet. Der BR wurde gebeten, die Änderungen zu kommentieren.


    Das Dokument enthält momentan noch Themenbereiche wie Krankmeldung und Arbeit am 24.12. und 31.12. und Aussagen zur Entlohnung im Krankheitsfall und an diesen Tagen, aber auch zu Bewirtung von Gästen, Umgang mit Lieferanten u.v.a.m..


    Wie gehen wir hier in Bezug auf die BV Arbeitszeit vor?

    Sollten wir diese Themenbereiche in die BV aufnehmen und in dem Mitarbeiterhandbuch nur noch auf die BV verweisen?

    Ich fände es schlecht weiterhin eine Aufteilung auf zwei verschiedene Dokumente zu haben wo zum selben Themenbereich Arbeitszeit manches in Handbuch und manches in der BV geregelt ist.

    Wie handhabt Ihr das ?


    Einige Vorschläge sind m.M. nicht rechts z.B., dass man sich bis 12 Uhr mittags krankgemedet haben muss, um den Lohn für den ganzen Arbeitstag zu bekommen.

    Wer sich nach 12 Uhr krankmelde müsse Überstunden abgleiten.


    Gefunden habe ich dazu u.a.: Zeitkonten richtig gestalten / 2.4 Entgeltfortzahlung

    https://www.haufe.de/personal/haufe-personal-office-platin/zeitkonten-richtig-gestalten-24-entgeltfortzahlung_idesk_PI42323_HI2350649.html

    "Für die Entgeltfortzahlung gilt grundsätzlich das Lohnausfallprinzip: Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf das Entgelt, das er erhalten hätte, wenn die Arbeitszeit nicht ausgefallen wäre. Zum Entgelt gehören dabei neben dem ausgezahlten Arbeitslohn auch Zeitgutschriften und Zeitschulden, die dem Arbeitnehmer ohne Krankheitsfall gewährt bzw. belastet worden wären – das Bundesarbeitsgericht spricht insoweit auch vom "Zeitfaktor" der Entgeltfortzahlung. Bei gleichmäßiger Verteilung der Arbeitszeit auf die Arbeitstage (z. B. 5-Tage-Woche Montag bis Freitag mit jeweils 8 Stunden Soll-Arbeitszeit an allen Arbeitstagen) ergeben sich hinsichtlich der Zeitkontenführung in der Regel keine besonderen Schwierigkeiten: Der Mitarbeiter wird am Krankheitstag oder bei feiertagsbedingtem Arbeitsausfall im Zeitkonto so gestellt, als hätte er die Soll-Arbeitszeit erbracht."


    Bisher wird das bei uns auch so gemacht. MA mit 40-Stundenwoche werden bei Krankheit 8 Stunden gutgeschrieben, egal ob sie sich vor Arbeitsbeginn oder erst nach einigen Stunden Arbeit krankmelden.


    Bei Thema Arbeit am 24.12. und 31.12. soll es auch eine Änderung geben.

    Bisher ist bei uns um 14 Uhr Dienstschluss, vergütet wird aber der ganze Tag. Das steht im Mitarbeiterhandbuch.

    Nun soll für beide Tage die volle Arbeitszeit gelten.


    Grundsätzlich kann der Arbeitgeber das tun, aber meine Frage ist: Durch die jahrelange Praxis ist eine betriebliche Übung entstanden.

    Unter welchen Bedingungen kann der Arbeitgeber diese abschaffen?

    Kann er einfach des Handbuch ändern und damit durchkommen oder können wir als BR ihn aufhalten?

    Ich bezweifle ersteres, möchte mir aber sicher sein.

    (Bitte entschuldigt die Fragen, mein BR ist noch ziemlich neu, wir machen momentan diverse Grundlagenschulungen und noch nicht alles Wissen sitzt gut genug.)

    https://www.unternehmenswelt.de/news/recht/arbeiten-an-heiligabend-weihnachten-und-silvester

    "Heiligabend (24.12.) und Silvester (31.12.) sind keine Feiertage. Ob sie frei sind, einen halben oder einen ganzen Urlaubstag erfordern, hängt von den Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ab. In vielen Bereichen gibt es bereits Tarifverträge, die für Heiligabend und Silvester eine Arbeitsbefreiung vorsehen, zum Teil wenigstens für einen halben Tag."


    Interessant ist auch "Wenn deine Mitarbeiter an einem Feiertag arbeiten und einen vertraglich vereinbarten Zuschlag erhalten, dann lohnt sich das für sie steuerlich. Laut Einkommensteuergesetz § 3b sind für tatsächlich geleistete Arbeit an folgenden Tagen Zuschläge bis zu dieser Höhe im Verhältnis zum Grundlohn steuerfrei:

    • am 24. Dezember ab 14 Uhr und am 25. und 26. Dezember: 150 Prozent des Grundlohns*
    • am 31. Dezember ab 14 Uhr: 125 Prozent des Grundlohns*

    "Das gilt, sofern der Grundlohn pro Stunde 50 Euro nicht überschreitet. Als Grundlohn bezeichnet der Gesetzgeber nicht nur den laufenden Arbeitslohn. Hierunter zählen außerdem vermögenswirksame Leistungen, Sachbezüge, steuerpflichtige Fahrkostenzuschüsse sowie Beiträge zur betrieblichen Altersversorgung."


    https://www.haufe.de/personal/haufe-personal-office-platin/gesetz-ueber-die-zahlung-des-arbeitsentgelts-an-feiertagen-und-im-krankheitsfall_idesk_PI42323_HI985187.html

    Einmal editiert, zuletzt von Turmalin1 () aus folgendem Grund: Ein Beitrag von Turmalin1 mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • also wir hatten bisher (es gab einen Betriebsübergang zum 1. September, daher ist jetzt alles irgendwie anders oder auch nicht, da wühlen wir uns immer noch durch) ebenfalls ein Mitarbeiterhandbuch, das es schon vor der Gründung des Betriebsrats in unserem Betrieb gab. Die bisherige Firma hatte 4 Betriebe wobei einer bereits einen BR hatte als sie zugekauft wurden, bei uns wurde dann 2018 der erste BR gegründet und 2 Betriebe waren betriebsratslos.

    Es gab zuerst viel hin und her mit dem Mitarbeiterhandbuch, da dort auch vieles stand was mitbestimmungspflichtig ist.

    Irgendwann hatten wir dann eine Einigung gefunden, dass die Passagen im Handbuch zu denen es BVen gibt dort entsprechend gekennzeichnet werden, d.h. bei den entsprechenden Abschnitten stand dann zu Beginn ein Verweis, dass hier für die Betriebe X und Y die jeweilige BV gilt (im Wesentlichen BV Arbeitszeit und BV Urlaub, die in Betrieb X und Y auch unterschiedlich sind).

    Wir haben uns dann nur noch den "Rest" des Handbuchs angesehen ob da alles soweit passt.


    Zum Krankmelden nach Aufnahme der Arbeit und Überstunden dafür verwenden hatten wir auch schon ein paar Diskussionen weil da auch immer mal wieder jemand versucht hat zu behaupten, dass das so sei. Ein angefangener Arbeitstag zählt aber als voller Arbeitstag egal ob man nach 5 Minuten oder 5 Stunden die Arbeit abbricht, was dann irgendwann auch eingesehen wurde (was nicht heißt, dass immer mal wieder einzelne Vorgesetzte es doch versuchen).

    Wir hatten dann auch mal einen Newsletter dazu in dem u.a. stand:

    Was geschieht mit der fehlenden Arbeitszeit?

    Die Stunden, die bis zum regulären Arbeitsende fehlen, müssen nicht nachgearbeitet werden. Der Tag zählt als gearbeitet. Der erste Krankheitstag ist der Tag danach – ab hier sollte dann die Krankmeldung gelten. Bei Schichtarbeit mit geplanten Zusatzschichten oder längeren Schichten müssen diese ebenfalls dem Zeitkonto gutgeschrieben werden. Betriebliche Regelungen, wonach Zeitschulden nur durch tatsächliche Arbeitsleistung abgegolten werden, verstoßen gegen das Lohnausfallprinzip des § 4 Abs. 1 EFZG.

    Habe ich einen Anspruch auf die volle Vergütung für den angebrochenen Tag?

    Ja! So entschied zum Beispiel das BAG in einem Urteil von 2003, dass ein Arbeitnehmer der während eines Arbeitstages erkrankt, Vergütung für den gesamten Arbeitstag gemäß § 611 BGB erhält. Auch ein aktuelles Urteil des LAG Köln (4 Sa 290/17 vom 12.01.2018) bestätigt diese Rechtsauffassung.

  • Wer sich nach 12 Uhr krankmelde müsse Überstunden abgleiten.

    das ist schon mal Unsinn - krank ist krank, dafür muss man keine Überstunden abgleiten


    Eine verspätet Krankmeldung kann abmahnfähig sein, aber nicht dazu führen, das der AN seine Lohnersatzanspruch verliert.


    Wenn es zusätzliche betriebliche Regelungen zur Krankmeldung geben soll, dann ist das "Ordnung im Betrieb" und mitbestimmungspflichtig --> hier kann der AG natürlich einen Vorschlag machen, aber der BR muss zustimmen

    (das o.g. kann aber auch dann nicht geregelt werden)


    Bei Thema Arbeit am 24.12. und 31.12. soll es auch eine Änderung geben.

    Bisher ist bei uns um 14 Uhr Dienstschluss, vergütet wird aber der ganze Tag. Das steht im Mitarbeiterhandbuch.

    Nun soll für beide Tage die volle Arbeitszeit gelten.

    hier liegt ggf. ein Fall von betrieblicher Übung vor, so das der AG gar nicht ohne z.B. Änderungskündigung diesbezüglich gegen jeden einzelnen MA den "Vorteil" entziehen kann

    --> das würde ich mit einem FA beraten, wie dort vorzugehen ist

    auf keinen Fall würde ich dazu eine BV abschließen ohne vorherige Beratung mit einem FA, um evt. Nachteile für den AN zu vermeiden durch den Abschluss einer BV

    Die Scheu vor der Verantwortung ist eine Krankheit unserer Zeit, denn Macht ohne Verantwortung ist wie ein Feuer außer Kontrolle.


  • hallo,


    die Sache ist doch eigentlich ganz einfach, wenn diese Anweisung ohne Beteiligung eines BR zustande gekommen ist.


    Da der ganze Ablauf der AU-Meldung mitbestimmungspflichtig ist gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, beschließt Ihr, den AG zu Verhandlungen über eine BV zum Thema "Regelung der AU-Meldung" aufzufordern. In der Beschlußmitteilung könnt Ihr dann den AG auch noch auf die evtl. rechtsunwirksamen Regelungen hinweisen.

    Ihr habt dieses Recht der Neuverhandlung für alle mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten, die vor Gründung des BR einseitig vom AG geregelt worden sind. Ihr müßt dafür auch keine besonderen Gründe angeben.


    Das hier

    Einige Vorschläge sind m.M. nicht rechts z.B., dass man sich bis 12 Uhr mittags krankgemedet haben muss,

    ist ein in den meisten Fällen relativ komfortables Zugeständnis des AG, denn das EFZG ist da in § 5 Abs. 1 Satz 1 deutlich strenger:

    § 5 EntgFG - Einzelnorm


    Das hier allerdings

    Wer sich nach 12 Uhr krankmelde müsse Überstunden abgleiten.

    ist so pauschal in vielen Fällen rechtswidrig.


    Wie gehen wir hier in Bezug auf die BV Arbeitszeit vor?

    Sollten wir diese Themenbereiche in die BV aufnehmen und in dem Mitarbeiterhandbuch nur noch auf die BV verweisen?

    das ist Geschmackssache, ob Ihr die AU-Meldung separat regelt oder aber in eine bestehende BV einfügt.


    Kann er einfach des Handbuch ändern und damit durchkommen oder können wir als BR ihn aufhalten?

    In allen Mitbestimmungspflichtigen Tatbeständen kann der AG nichts mehr ohne Eure Zustimmung regeln. Ihr könnt jegliche einseitige Maßnahme des AG in mitbestimmungspflichtigen Maßnahmen stoppen - ggfs. vor dem ArbG.


    Zum 24. bzw. 31.12.:

    Hier ist sicherlich eine "betriebliche Übung" entstanden, die ja auch durch die schriftliche Niederlegung beweisbar ist.

    Unter welchen Bedingungen kann der Arbeitgeber diese abschaffen?

    Nur durch Änderungskündigung ggü. jedem einzelnen AN.


    Eigentlich solltet Ihr doch froh sein, daß Ihr hier mit diesen zwei Sachverhalten zwei "Steilvorlagen" habt, um Euren Kolleg*innen die Notwendigkeit eines BR zu demonstrieren - sei es durch Mitbestimmung (AU-Meldung), sei es durch Information und ggfs. Anhörung gem. § 102 BetrVG ("betriebliche Übung, Änderungskündigung).