Rücktritt aller BR-Mitglieder - Neuwahlen wie & wann?

  • Hallo zusammen,


    ich hoffe, dieser Post passt hier hin, auch wenn es noch um andere Dinge als nur Wahlen geht.

    Der 3-köpfige BR in unserem Betrieb wurde vor ziemlich genau einem Jahr aus Verzweiflung gegründet, nachdem der Betrieb an einen Großkonzern verkauft wurde und die reinste Hölle über uns hereinbrach. Zu den drei ständigen Mitgliedern (darunter ich selbst) haben wir noch 2 Ersatzmitglieder, von denen eines bis Ende des Jahres in Elternzeit ist. Es gab ursprünglich noch 2 weitere Ersatzmitglieder, die das Unternehmen im letzten Jahr verlassen haben.


    Jetzt sehen wir uns mit der Situation konfrontiert, dass alle drei ständigen Mitglieder entweder bald das Unternehmen verlassen oder schon angekündigt haben, das Amt niederlegen zu wollen.

    Da das nun alles blöderweise zur gleichen Zeit passiert, brauchen wir ein wenig Rat, um die Situation für alle bestmöglich zu navigieren...

    Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass in der Firma so einige Dinge so richtig schief laufen, wenn so viele Leute kündigen. Dinge, gegen die auch ein Betriebsrat machtlos ist (besonders wenn er noch neu und unerfahren ist wie wir...). Trotzdem ist ein Betriebsrat, selbst wenn er nur passiv agiert, besser als gar keiner, deshalb wollen wir den restlichen Mitarbeitern unbedingt eine faire Chance geben, den BR weiterzuführen.


    Deshalb nun die Frage: Was würdet ihr tun? Und wie? Einen Beschluss zum Rücktritt des BR fassen, um daraufhin Neuwahlen "auf der grünen Wiese" zu starten, solange wir ständigen Mitglieder noch da sind? Das hätte den Vorteil, Ersatzmitglied 2 in der Elternzeit nicht irgendwie belasten zu müssen und gäbe Ersatzmitglied 1 die Möglichkeit, es sich nochmal zu überlegen und sich zur Wahl zu stellen oder eben nicht. Ein geschlossener Rücktritt des ganzen BRs sendet aber kein besonders positives Signal an die Belegschaft.


    Gibt es Alternativen?


    Wenn Mitglied 1 zurücktritt, rückt das erste Ersatzmitglied nach. Sobald Mitglied 2 den BR verlässt, würde das zweite Ersatzmitglied in Elternzeit nachrücken - die sich in der Elternzeit verständlicherweise nicht mit BR-Themen befassen will (aber bisher auch nicht ihr Amt niedergelegt hat - klar, sie hat wichtigere Dinge im Kopf). Es bleibt dann nur ein BR mit 2 aktiven Mitgliedern, von denen eines auch bald weg ist. Ich sehe nicht, dass der BR dann mit einem aktiven Mitglied und einem in Elternzeit befindlichen Mitglied noch großartig handlungs- oder beschlussfähig ist, deshalb wollen wir so früh wie möglich unsere Nachfolge regeln. Eine Wahl zur vorsorglichen Aufstellung weiterer Ersatzmitglieder ist meines Wissens nach nicht möglich, richtig?


    Wenn wir tatsächlich den Rücktritt des BR beschließen sollten und Neuwahlen organisieren, was passiert, wenn sich niemand aufstellen lässt? Es ist nicht unwahrscheinlich, da unser Betrieb nur 30 - 40 Mitarbeiter hat. Ich weiß, dass bei zu wenigen Kandidaten im Zweifel ein kleinerer Betriebsrat gewählt wird, aber was passiert bei wirklich gar keinen Kandidaten? Muss die Wahl dann erneut "versucht" werden (scheint irgendwie sinnlos?) oder kann eine Wahl ohne Kandidaten als Zeichen verstanden werden, dass von der Belegschaft kein BR mehr gewünscht wird und es damit "aus und vorbei" ist? Wann endet in so einer Situation die Amtszeit des zurückgetretenen Betriebsrats dann offiziell, da wir die Geschäfte nach dem Beschluss ja weiterführen müssten?

  • Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass in der Firma so einige Dinge so richtig schief laufen, wenn so viele Leute kündigen. Dinge, gegen die auch ein Betriebsrat machtlos ist (besonders wenn er noch neu und unerfahren ist wie wir...).

    Das klingt nach Selbstverzwergung. Schreib doch mal um welche Dinge es geht, dann können erfahrenere BR dir sagen, ob ihr wirklich so machtlos seid, wie du denkst. ;)


    Aber zu deinen Fragen:

    Wenn der BR geschlossen zurücktritt, hat er unverzüglich einen Wahlvorstand zu bestellen, der Neuwahlen einleitet. Bis zur konstituierenden Sitzung des neuen BR führt der alte BR die Amtsgeschäfte weiter, selbst wenn er unter Sollstärke absinkt. Treten dagegen einige BR peu a peu einzeln zurück, müssen Neuwahlen zwingend eingeleitet werden, sobald eure Sollstärke von 3 BRM nicht mehr erreicht wird. Die Kollegin in Elternzeit zählt dabei mit. Ihr Mandat ruht einstweilen. Sie gilt als verhindert, aber sobald sie in den Betrieb zurückkommt, oder erklärt, an Sitzungen teilnehmen zu wollen, ist sie wieder volles BRM. Ein BR aus 2 Mitgliedern, plus der vorübergehend verhinderten Kollegin in Elternzeit und keinem Ersatzmitglied wäre noch beschlussfähig, wenn beide aktiven BRM in der Sitzung anwesend sind.


    Wenn sich kein Kandidat aufstellen lässt, setzt der Wahlvorstand eine Nachfrist von 1 Woche. Findet sich dann kein einziger Kandidat, ist der Betrieb betriebsratlos. Sollte jedoch nur 1 Bewerber sich bewerben, greift der §11 BetrVG, auf den du dich beziehst und der Bewerber ist BR (selbst wenn er nur 1 Stimme von sich selbst kriegt). Eine "Nachwahl" während der laufenden Amstzeit, um weitere Ersatzmitglieder zu bekommen, ist nicht möglich.

    Für einen Betriebsrat gilt: Lobt dich der Gegner, ist das bedenklich. Schimpft er, dann bist du in der Regel auf dem richtigen Weg. (August Bebel)

  • Ein geschlossener Rücktritt des ganzen BRs sendet aber kein besonders positives Signal an die Belegschaft.

    Ihr habt dann ja weiterhin die Möglichkeit / Pflicht, Betriebsversammlungen durchzuführen. Ich finde schon, dass man das vor dem Hintergund einer geordneten und sauberen Wahl besser erklären kann als alle vier Wochen den Verlust eines BRM und dann doch eine (erzwungene) Neuwahl.

  • Ich finde schon, dass man das vor dem Hintergund einer geordneten und sauberen Wahl besser erklären kann als alle vier Wochen den Verlust eines BRM

    Guter Punkt, so habe ich das noch gar nicht gesehen... Danke für den Input!


    Wenn sich kein Kandidat aufstellen lässt, setzt der Wahlvorstand eine Nachfrist von 1 Woche. Findet sich dann kein einziger Kandidat, ist der Betrieb betriebsratlos. Sollte jedoch nur 1 Bewerber sich bewerben, greift der §11 BetrVG, auf den du dich beziehst und der Bewerber ist BR (selbst wenn er nur 1 Stimme von sich selbst kriegt). Eine "Nachwahl" während der laufenden Amstzeit, um weitere Ersatzmitglieder zu bekommen, ist nicht möglich.

    Danke für diese Antwort, genau sowas hatte ich gesucht. Dann werden wir wohl die Mitarbeiter auf der nächsten Betriebsversammlung für das Thema sensibilisieren und hoffen, dass sich wenigstens einer zur Wahl stellt...

    Einmal editiert, zuletzt von Kummerspeck () aus folgendem Grund: Ein Beitrag von Kummerspeck mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Hallo Kummerspeck,


    es tut mir Leid, dass Ihr in so einer Situation seid.


    In meinem Betrieb haben sich einige Interessierte in Einzelgesprächen erläutern lassen, was sie als BR-Mitglied an Aufgaben hätten und wie viel Zeit sie ungefähr aufwenden müssten. Danach haben sich einige entschieden zu kandidieren und einer hat aus dem Stand die zweitmeisten Stimmen bekommen.

    Also: In der Betriebversammlung das Thema ansprechen, erklären, warum es so wichtig sit einen BR zu haben, und in Gessprächen Fragen beantworten. Ihr braucht auch Leute für den Wahlvorstand. Das könnt Ihr bei der Gelegenheit auch sagen.


    Ich drücke Euch die Daumen!

  • Ein kleines Update zu unserer Situation:


    In der letzten BV haben wir den Mitarbeitern mitgeteilt, dass die BR-Mitglieder aus dem Unternehmen ausscheiden werden und sich alle überlegen sollen, ob sie nicht vielleicht im BR mitmachen wollen. Es wurde kräftig die Werbetrommel gerührt, viele Einzelgespräche zu Verantwortlichkeiten und Notwendigkeit eines BR geführt und einige Mitarbeiter haben verlauten lassen, sich aufstellen zu lassen - und so sind wir eigentlich mit einem ganz guten Gefühl an den Beschluss zur Auflösung herangegangen.


    Und dann kam ein "All Hands" Meeting, in dem aus der obersten Etage die nächste Entlassungswelle angekündigt wurde... auch einige C-Level-Manager wurden gefeuert. Die Entlassungen betreffen uns im deutschen Betrieb zwar nicht, aber trotzdem hinterlassen sie viele Löcher in den internationalen Teams und Chaos in der Organisation.


    Nun haben wir Neuwahlen gestartet, kommenden Donnerstag läuft die Frist zur Aufstellung der Kandidaten ab. Und keiner hat sich bisher aufgestellt. Im Urlaub ist derzeit niemand, es wissen also alle davon. Vorsichtige Nachfragen bei den zuvor Interessierten sind meistens mit Seufzen und Kopfschütteln beantwortet worden. Es ist unendlich traurig, aber es scheint, dass die restlichen Mitarbeiter (so wie ich auch schon, ich verlasse die Firma im Juli) mental bereits ausgecheckt haben und keine Zukunft mehr für die Firma sehen. Vielleicht passiert noch ein kleines Wunder bis Donnerstag, aber ich erwarte nicht viel.


    Trotzdem Danke an alle für eure Hilfe und Tipps!

  • Vorsichtige Nachfragen bei den zuvor Interessierten sind meistens mit Seufzen und Kopfschütteln beantwortet worden. Es ist unendlich traurig, aber es scheint, dass die restlichen Mitarbeiter (so wie ich auch schon, ich verlasse die Firma im Juli) mental bereits ausgecheckt haben und keine Zukunft mehr für die Firma sehen.

    Gerade in unsicheren Zeiten sollte die Stabilität des Ehrenamts doch attraktiv sein. Im Zweifel macht der Betriebsrat das Licht aus (oder lässt sich extrateuer rauskaufen). Oder meinst du, die haben sich alle schon neu beworben?

  • Ich denke, dass alle einfach mental ausgelaugt sind. Ja, viele bewerben sich schon aktiv in anderen Firmen, aber viele sitzen es einfach nur aus und hoffen ein bisschen drauf, dass ihnen irgendwann gekündigt wird und sie nicht selbst kündigen müssen (weil Sperrfrist beim Arbeitsamt u.Ä.). Wir sind alle ganz gut bezahlt (Softwareentwicklung und IT-Consulting), daher ist die (mangelnde) Stabilität glücklicherweise kein großes Thema für irgendjemanden.


    Wir haben keine Vollzeit-BR-Mitglieder, d.h. jeder muss das irgendwie mit seiner restlichen Arbeit und seinem Manager ausfechten, was immens schwierig ist, wenn man ohnehin schon die Arbeit von den Leuten mitmachen muss, die das Unternehmen bereits verlassen haben. Da hat offensichtlich keiner mehr die Energie, sich mit Betriebsratsthemen auseinander zu setzen. Verstehe ich auch völlig, ich suche ja auch das Weite, aber es ist ein echtes Armutszeugnis für unsere Firma.


    Also good job :thumbup: an unseren Arbeitgeber, dass er es geschafft hat, uns so mürbe zu machen, dass keiner mehr weitermachen mag. Aber dann darf er sich auch nicht darüber beschweren, dass ihm alle Mitarbeiter davonlaufen und das Geschäft einbricht. :saint: Ein paar Kollegen rotten sich gerade zusammen und überlegen, eine neue Firma zu gründen (nicht in Konkurrenz zum aktuellen AG), also hat das ganze Fiasko vielleicht doch ein Happy End!


    Wir haben weiterhin noch keine Kandidaten, ich schicke vermutlich morgen nochmal einen Reminder an alle, in der Hoffnung, dass sich doch noch jemand meldet. Im Zweifelsfall für einen einköpfigen BR - besser als gar kein BR.

  • Der 3-köpfige BR in unserem Betrieb wurde vor ziemlich genau einem Jahr aus Verzweiflung gegründet, nachdem der Betrieb an einen Großkonzern verkauft wurde und die reinste Hölle über uns hereinbrach.

    Der BR wurde ja quasi unter Leidensdruck gegründet. Meine Interpretation: Vor dem Verkauf war möglicherweise nicht alles eitel Sonnenschein, aber dann wurde an die Heuschrecke verscherbelt. Zunächst mal wurden seitens des Konzerns die ganze Palette wie Arbeitsverschlankung, Arbeitsverdichtung, Arbeitsflexibilisierung und andere euphemististische Umschreibungen neoliberaler Folterwerkzeuge eingeführt. Die Belastung stieg, die Stimmung sank und die BR-Gründung sollte wieder einen kleinen Sonnenstrahl in den grauen Himmel zaubern.

    Schnell wurden die AN jedoch in die Realität zurückgeholt, dass ein BR meist auch nur punktuelle Verbesserungen erreichen oder Leid etwas abfedern kann und dazu noch oft von Unternehmensseite behindert und bekämpft wird. Jedenfalls kam durch den BR nicht das erhoffte Ergebnis zustande und jetzt ist die Motivation vollends im Keller und wer noch schwimmen kann verlässt das sinkende Schiff. Die Firma geht den Bach runter, der ehemalige AG fällt weich, die Beschäftigten hoffen sogar, dass sie dem Hartzamt vor die Tür gekarrt werden als sich aus eigenem Antrieb dorthin zu bewegen (weil strafbewehrt), die Heuschreckenplage zieht weiter und lässt Kahlschlag zurück.


    Unter anderen Umständen, nämlich einem AG, der ebenfalls Interesse an der Fortführung des Betriebes hat, könnte der BR sogar einen postitiven Regelkreis anstossen: Die Leute sind unmotiviert? Erleichtere ihnen die Arbeit! Dann müssen wir mehr Leute einstellen und finden keine? Sieh zu dass die Firma für Bewerber wieder attraktiver wird! Und wie? Na, nicht nur mit Geld, sondern auch mit Arbeitsbedingungen und Wertschätzung. Geld verhindert nur Unzufriedenheit, aber für Motivation sorgt ein angenehmes Arbeitsklima und ein Chef, der auch mal 5 gerade sein lassen kann! Klingt ja schön und gut, aber wie soll ich das finanzieren? Mit dem Erfolg, der aus zufriedenen Mitarbeitern erwächst, die auch mal mehr als nötigste machen, weil die Aufgabe interessant ist und die Arbeit wertgeschätzt wird!


    So aber liegt der Fehler im System und ich kann nur dir, Kummerspeck, viel Erfolg im neuen Job wünschen und auch die Kollegen verstehen, die die Restlaufzeit nur noch möglichst unbeschadet hinter sich bringen wollen...

    Für einen Betriebsrat gilt: Lobt dich der Gegner, ist das bedenklich. Schimpft er, dann bist du in der Regel auf dem richtigen Weg. (August Bebel)

  • Ja, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, genau so ist das hier abgelaufen. Einen Betriebsrat richtig und sinnvoll zu führen ist zudem ein echtes Stück harte Arbeit (wenn mans anständig macht und sich nicht nur mitschleifen lässt), und die Motivation dafür hält sich stark in Grenzen, besonders wenn die "Macht" des Betriebsrats unterm Strich doch nicht so groß ist wie man annimmt.


    Die Frist zur Einreichung von Wahlvorschlägen ist heute Mittag ergebnislos verstrichen. Mitarbeiter und Geschäftsführung wurden informiert, dass es keine Wahl geben wird (das Setzen einer Nachfrist ist offenbar nur im normalen Wahlverfahren möglich, nicht im vereinfachten Wahlverfahren, das in unserem Betrieb angewendet werden muss - würde aber sowieso keinen Unterschied machen...).


    Und das ist vielleicht off-topic, da die Wahl ja nun nicht mehr stattfindet - was passiert mit den ganzen Unterlagen des BR nach dessen Auflösung? Vernichten wir die? Oder sollten wir die zur Sicherheit noch für eine Weile (6 Monate?) aufbewahren, falls der AG nachträglich irgendetwas versucht anzufechten? Allerdings gibt es dann ja keinen BR mehr, der noch irgendetwas verteidigen könnte oder müsste...

  • Falls ihr Betriebsvereinbarungen geschlossen habt, wirken diese rechtlich auch nach Auflösung des BR fort. Der AG kann sie jedoch einfach gegenüber den MA kündigen. Einen BR, der eine neue BV mit ihm aushandeln könnte, gibt es ja nicht mehr. Danach kann er sie in seinem Büro in einen Schaukasten hängen und mit dem Hinweisschild versehen: "Mit sowas mussten wir uns früher herumschlagen, als uns noch ein Betriebsrat reingeredet hat."

    Für einen Betriebsrat gilt: Lobt dich der Gegner, ist das bedenklich. Schimpft er, dann bist du in der Regel auf dem richtigen Weg. (August Bebel)

  • was passiert mit den ganzen Unterlagen des BR nach dessen Auflösung? Vernichten wir die?

    Ja, bis auf Unterlagen die noch wirken z.B. BV


    selbst wenn der BR noch aktiv wäre, müssten alle Daten die nicht mehr benötigt werden gelöscht oder vernichtet werden --> DSchGVo

    Die Scheu vor der Verantwortung ist eine Krankheit unserer Zeit, denn Macht ohne Verantwortung ist wie ein Feuer außer Kontrolle.