Mega-Umstellung im Betrieb steht an - Wie (re)agieren?

  • Hallo zusammen,


    vorweg, entschuldigt die reißerische Überschrift. Ich wollte erstmal mit den Vibes einsteigen, mit dem Sound, der uns hier gerade so entgegenfliegt.


    in unserem Betrieb, einer Versicherungsgesellschaft, stehen riesige Veränderungen an. Ein in die Jahr(zehnte) gekommenes CRM-System muss abgelöst und durch eine externe Software ersetzt werden. Die Vorarbeiten und Datenmigrierung (wir reden über Millionen von Datensätzen, dutzende verschiedene Tarifwerke und Generationen), die Tests und alle weiteren Zuarbeiten sollen perspektivisch durch das bisherige Personal "on the run" erledigt werden. Da wir bisher - auch ohne diese Zusatz-Belastung - personell eher sehr dünn besetzt sind, mache ich mir große Sorgen darüber, was bzw. eher wer am Ende noch bleibt.


    Wir reden über eine Gesamt-Projektdauer von 7 Jahren, in denen mehrere Systeme umgestellt, eingestellt und ganze Arbeitsprozesse neu entdeckt werden müssen. Der BR erfuhr in der Vergangenheit quasi Dinge immer nur nebenher - womöglich hat er das auch nicht aktiv genug eingefordert. Am Ende wissen wir also jetzt nicht wesentlich mehr als die Belegschaft. Das Problem dabei zeigte sich bei der "Kickoff"-Veranstaltung letzte Woche, wo wir in Großgruppen unter Anleitung eines externen Dienstleisters zu den Themen, die uns als Angestellte zugänglich sind, diverse Fragestellungen zu bearbeiten hatten. Anstatt das diese Veranstaltung den Menschen die Sorgen vor dem Projekt genommen hat, sind sie dabei, so die Nachgespräche, die bei mir aufgeschlagen sind, eher größer geworden, weil die Tenor eher der ist, dass man das halt so nebenbei macht, aber nicht vergessen dürfe, was das für eine Riesenchance und Mega-Investition für die Firma war. Der Druck ist also massiv. Am Ende geht es auch um die Automatisierung "einfacher" Vorgänge. Im Idealfall hätten alle SB danach mehr Zeit für qualifizierte Kund:innen-Beratung usw. Alteingesessene Kolleg:innen haben jedoch in der Firma eher die Erfahrung gemacht, dass das als Möglichkeit zur weiteren Arbeitsverdichtung genutzt werden wird.


    Die Gefahr, dass es zu Burnouts kommt, ist schon in den letzten Jahren immens gewesen. Corona hat das nicht verbessert. Als Prävention sieht die Firma selbst erstellte Minivideos im Intranet vor, was ich persönlich eher lächerlich finde.


    Lange Rede, kurzer Sinn, was will ich nun von euch?


    Da der BR - wie schon erwähnt - nicht das beste Image in der Belegschaft hat, möchte ich aktiv auf die Menschen zugehen. Bei 140 Angestellten macht man das natürlich nicht mit Bürobesuchen. Ich würde gerne eine Umfrage an die Menschen richten, in der sie ganz diskret ihre Sorgen und Erwartungen formulieren können, ohne dass der Vorstand dahinter am Tisch steht und genau zuhört, wer was spricht.

    • Habt ihr (gute) Erfahrungen damit?
    • Kann ich das als BR-Mitglied einfach so machen oder brauche ich einen Beschluss dafür?
    • Darf ich die Ergebnisse auch an die Gewerkschaft weitergeben?
    • Würdet ihr mit Ergebnissen "raus" gehen, also zum Beispiel sie, sofern datenschutz- und persönlichkeitsrechtlich einwandfrei, ins Intranet setzen?

    Ich gehe davon aus, dass der BR zu einer solchen Befragung keine Zustimmung der GF braucht. Alternativ würde ich eine Mitarbeiter:innen-Versammlung einberufen, was ich der GF dann auch so sagen würde, wenn sie sich darüber aufkoffert. Den verlorenen Arbeitstag spart sich die Firma natürlich am Ende gewiss gerne.


    Alternativ werde ich vermehrt nach Feierabend Gewerkschafts-Infomaterial an den Plätzen verteilen. Ich denke tatsächlich, dass es akut ist.


    Vielen Dank erstmal, dass ihr bis hier her gelesen habt.


    Kollegiale Grüße

    SK

    Beste Grüße

    SKRLFT

    ___


    stellvertretender Betriebsratsvorsitzender

    Versicherungen/ Finanzen


    - für progressive Veränderungen

  • Dein Posting ist tatsächlich ein Megabrocken wie das, was im Moment in eurem Betrieb passiert. Ich möchte damit starten - wie ist denn eigentlich euer Schulungsstand?


    Denn ---


    Kann ich das als BR-Mitglied einfach so machen oder brauche ich einen Beschluss dafür?

    Als stellvertretender Vorsitzender solltest du eigentlich wissen, dass der Betriebsrat NICHTS ohne Beschluss macht.


    Alternativ werde ich vermehrt nach Feierabend Gewerkschafts-Infomaterial an den Plätzen verteilen. Ich denke tatsächlich, dass es akut ist.

    Wir werden gebraucht, schnell jemand anders finden, der sich darum kümmert...


    Da der BR - wie schon erwähnt - nicht das beste Image in der Belegschaft hat, möchte ich aktiv auf die Menschen zugehen. Bei 140 Angestellten macht man das natürlich nicht mit Bürobesuchen.

    Möchtest du das, oder möchte der Betriebsrat das? Siehe wieder Thema Beschluss.


    Ich gehe davon aus, dass der BR zu einer solchen Befragung keine Zustimmung der GF braucht.

    Tatsächlich kein Thema. Sofern ein Beschluss vorliegt, go for it.


    Würdet ihr mit Ergebnissen "raus" gehen, also zum Beispiel sie, sofern datenschutz- und persönlichkeitsrechtlich einwandfrei, ins Intranet setzen?


    Auch hier sind anonymisierte / pseudonymisierte Ergebnisse kein Thema.


    Habt ihr (gute) Erfahrungen damit?

    Ja, bei uns läuft tatsächlich gerade eine Umfrage zu einem haarigen Thema. Kommt sehr gut an.



    Alternativ würde ich eine Mitarbeiter:innen-Versammlung einberufen, was ich der GF dann auch so sagen würde, wenn sie sich darüber aufkoffert.

    Du meinst sicher eine Betriebsversammlung. Eher kombinieren. Erst Umfrage, dann auf der nächsten Betriebsversammlung die Ergebnisse reflektieren und die Sorgen der Belegschaft mitnehmen. Sonst müssen sich Leute ja wieder bloßstellen. Der Arbeitgeber darf bei einer Betriebsversammlung übrigens dabei sein, nur so dabei.



    Ich glaube ihr solltet ganz dringend einen Sachverständigen hinzuziehen (Rechtsanwalt). Wenn ihr keinen Drive entwickelt, wird euch der Arbeitgeber einfach überrollen.


    Ich merke gerade, dass meine Antwort härter war, als sie rüberkommen sollte. Ich bin sehr froh, dass du dich jetzt darum kümmerst. :)

    Einmal editiert, zuletzt von HankHardware () aus folgendem Grund: Ein Beitrag von HankHardware mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Bei der Einführung von Software seid ihr voll in der Mitbestimmung, nach § 87.1 Abs. 6 BetrVG. Da seid ihr nicht auf den Flurfunk angewiesen, sondern der AG hat auf zuzukommen und rechtzeitig und umfassend zu unterrichten. Also könnt ihr ihm per Gerichtsbeschluss die Einführung der neuen Software untersagen, bis ihr unter Einsatz eines Sachverständigen eine BV ausgehandelt habt, in der Verwendungszweck, genaue Modalitäten und auch nötige Schulungen geregelt sind.


    Da das Thema unter den Nägeln brennt, ist auch eine außerordentliche Betriebsversammlung speziell zu diesem Thema möglich. Da könnt ihr, wie schon geschrieben, Anregungen und Bedenken entgegennehmen und in die BV einfließen lassen.

    Für einen Betriebsrat gilt: Lobt dich der Gegner, ist das bedenklich. Schimpft er, dann bist du in der Regel auf dem richtigen Weg. (August Bebel)

  • Ich würde auch prüfen, ob hier evtl. (was ich stark vermute) der § 111 BetrVG greift.

    Dann Interessenausgleich und Sozialplan, für den Fall, dass es innerhalb einer zu bestimmenden Frist zu betriebsbedingten Kündigungen kommt.

    Das Leben ist Veränderung

    Starte dort, wo du stehst!

    Aber versuche jeden Tag einen neuen Startpunkt zu finden!
    Benutze das, was du hast!

    Aber versuche jeden Tag etwas neues zu benutzen!
    Tu das, was du kannst!

    Aber versuche jeden Tag etwas mehr zu tun!

  • schon vieles gesagt.

    Nehmt euch einen Anwalt und macht euch selbst über Seminare etc schlau.

    Und dann noch einen Sachverständigen für die Programme.


    Umfrage ja, aber seid vorsichtig dass ihr keine Betriebsabläufe oder sogar den Betriebsfrieden stört...


    Bzgl. Gewerkschaft sucht Dir Mitstreiter zum Verteilen von Flyern und evtl auch Planen von Aktionen etc.

    Nicht die Dinge sind positiv oder negativ, sondern unsere Einstellung macht sie so. (Epiktet, gr. Philosoph)

  • Ich hatte vor einigen Jahren auch mal eine firmenweite Umfrage auf die Beine gestellt (im Auftrag des neuen Chefs damals). Der BR gab durch Beschluss sein Okay. Aber m.E. muss auch der Datenschutzverantwortliche mit ins Boot geholt werden.


    Was ich persönlich auch gut finde, ist, wenn zum Schluss noch ein Feld ist, wo die MA persönliche Meinungen, Kritiken tec. aufschreiben können. Natürlich alles aber anonymisiert.

    ~~~ Alle sagten: Das geht nicht! Dann kam einer, der wusste das nicht und hat es einfach gemacht. ~~~

    ~~~ Eine Lösung hätte ich - mir fehlt nur das passende Problem. ~~~

  • Bei 140 Angestellten macht man das natürlich nicht mit Bürobesuchen.

    Warum nicht? - Denn das kommt bei den MA richtig gut an. Meiner Erfahrung nach ist ein persönlicher Besuch mehr wert, als jede mehr oder weniger anonyme Online-Umfragen. - und dafür brauchst Du tatsächlich keinen Beschluss (an dieser Stelle muss ich HankHardware widersprechen). Für eine Umfrage des Betriebsrats natürlich schon, aber die Begehung von Arbeitsplätzen, bzw. das Aufsuchen von MA an ihren Arbeitsplätzen ist ein Recht, welches jedes BRM seines Amtes wegen hat, dafür braucht es keinen Beschluss. Genauso wenig wie Du einen Beschluss dafür brauchst Dich selbst für BR-Arbeit freizustellen. D.h. wenn Du Dich in den nächsten Wochen täglich direkt zum Arbeitsbeginn für BR-Arbeit freistellst und dann eine/n MA nach der/dem Anderen in ihrem/seinem Büro aufsuchst, um mit diesen zu sprechen, dann wirst Du dafür vom AG sicher keinen Applaus kriegen, aber rechtlich bist Du auf der sicheren Seite. - Auch ohne Beschluss.

    „Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist“

    Hanlons Rasiermesser

  • Wobei euch nichts davon abhält, euch im BR abzusprechen, einzelne Bereiche aufzuteilen und dann parallel mit den Menschen (140 sind ja nur 20 pro BRM) zu sprechen.

    Es mag da dann helfen, wenn ihr zur Orientierung zwei, drei Fragen habt, die ihr ganz konkret beantwortet haben wollt. Aber mehr erfahren werdet ihr auf diesem Weg vermutlich schon.

    Es fehlt halt am Ende nur das Diagramm, das man dem AG vorlegen kann.

  • Hallo zusammen,


    vielen Dank für die reichlichen Antworten. Nehmt es mir nicht krumm, wenn ich jetzt nicht auf jede Antwort einzeln mit der Antworten-Funktion reagiere. Das wird nur Dopplungen produzieren.


    Nun muss ich erstmal überlegen, wie ich das jetzt alles formuliere, ohne jemenschen schlechtzureden...


    Aber eins nach dem anderen...


    Schulungen und Beschlüsse

    Der Schulungsstand ist im Gremium selbst, um es positiv zu formulieren mangelhaft, da sich der BR die letzten Jahren - augenscheinlich - mit Dinge-gewähren-lassen und Keine-Zeit-haben zufrieden gegeben hat. Ich bin seit Mai drin und versuche mich hier quasi in einem Kampf gegen zwei Windmühlen, der Lethargie des Gremiums und der Art, wie die GF den BR (nicht) mit einbindet. Unter anderem versuche ich hier ziemlich vergeblich, die BRM sowie die BRV dazu zu bewegen, endlich adäquate Seminare/ Schulungen in Anspruch zu nehmen. Der Enthusiasmus hält sich da durchaus in Grenzen. Das letzte Gremium hat keinerlei Seminare in Anspruch genommen, im letzten Jahr nur ich - so wie auch Ende März wieder, wenn ich dann das BR 3 mache. Daher aber auch mein Abklopfen, inwiefern ich da Dinge ohne Beschluss tun kann, quasi als BRM.


    Natürlich bin ich mir bewusst darüber, dass ich für Aktionen im Namen des BR einen Beschluss brauche. Den wirst du hier in der Regel aber kaum bekommen, weil kein Verständnis dafür da ist, dass man nicht warten sollte, bis ein akutes Problem bzw. GAU da ist - zumal es hier schon allein eine lästige Diskussion ist, überhaupt mal eine BR-Sitzung zu veranstalten. 90 % von dem, was hier so als BR getan wird, könntest du z. B. auch schon sein lassen, was man meint, "Umlaufbeschlüsse" ohne jede Sitzung usw. wären Beschlüsse. Soviel dazu.


    Gewerkschaft

    Soweit ich weiß, gibt es außer mir bisher nur eine Person im Betrieb, die Mitglied einer Gewerkschaft ist. Der zuständige Gewerkschaftssekretär für den Bereich Finanzdienstleistungen ist engagiert, die Zusammenarbeit bleibt aber zur Zeit leider eher auf der bilateralen Ebene zwischen ihm und mir hängen. Daher bleibt es leider an mir selbst hängen, Menschen für die Gewerkschaft zu gewinnen, um einfach eine größere Basis zu schaffen.


    Anwaltliche Beratung

    Ich hatte die BRV einmal gefragt, mit welchem Anwalt wir zusammenarbeiten. Antwort: "Haben wir noch nie und brauchen wir auch nicht. Wir klären alles mit der GF, das reicht."


    An der Stelle muss ich einfach HankHardware zitieren: "Ich glaube ihr solltet ganz dringend einen Sachverständigen hinzuziehen (Rechtsanwalt). Wenn ihr keinen Drive entwickelt, wird euch der Arbeitgeber einfach überrollen." Leider hat uns das ganze Ding bereits überrollt. Die Verträge sind unterschrieben, die Entwicklung sowie Umstellungen laufen bereits. Ich versuche, dass wir nicht komplett abgemäht werden und einfach vollends als zahnloser Wurmfortsatz der Personalabteilung dastehen.


    Umfrage und Bürobesuche

    Wie schon oben beschrieben, hält sich das proaktive Momentum im Gremium arg in Grenzen und "niemand hat Zeit". Zwingen kann ich die Leute nun einmal auch nicht, so gerne ich manchmal würde. Hinzu kommt, dass wir derweil eine Homeoffice-Quote von ca. 75 % haben. Das heißt, in den meisten Büros findest nur leere Stühle vor. Das gestaltet das Ganze dann nochmals etwas komplizierter. Nichtsdestotrotz sollte ich auch das gewiss versuchen.


    Die Geschäftsführung selbst hat heute eine Umfrage zur Veranstaltung in der letzten Woche gemacht via Online-Tool. Ich habe dem Gremium vorgeschlagen, dass wir einfordern sollten, dass uns die Ergebnisse zur Verfügung gestellt werden. Natürlich Schweigen im Walde. Allein das Informationen einfordern ist bereits für den Großteil der anderen sechs eine extrem große Hürde. Im Laufe der nächsten Woche werde ich den Umstand nutzen, dass die BRV krank ist und eine BR-Sitzung einberufen. Assi-Aktion, aber anders kommen wir nie zu einer Sitzung.


    Letzten Endes wird natürlich vieles daran scheitern, dass ich keinen Beschluss kriege. Ich für meinen Teil werde trotzdem in meiner Funktion als BR-Mitglied notfalls per persönlicher Mitteilung an die GF zumindest immer wieder meine Bedenken anmelden und auf Mitsprache usw. verweisen.


    Vielen Dank, für's schon wieder lesen.

    Ihr seid klasse :)

    Beste Grüße

    SKRLFT

    ___


    stellvertretender Betriebsratsvorsitzender

    Versicherungen/ Finanzen


    - für progressive Veränderungen

  • Der ifb bietet genau zu Deinem Thema ein Seminar an. Change-Management als Betriebsrat mitgestalten

    Ich komme gerade frisch aus diesem Seminar. Changes werden hier weniger aus der betriebsverfassungsrechtlichen Sicht, sondern mehr aus der von Psychologen und Wirtschaftswissenschaftlern betrachtet. Ich denke, das bietet wichtige Argumentationshilfen für Dich, Deinen BR-Kolleg:innen und dem Arbeitgeber ggü. Den Faktor Mensch zu berücksichtigen macht auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht Sinn.

    LG Oenothera