Erfassung von Überstunden / Mehrarbeit nach § 16 (2) ArbZG

  • Hallo zusammen,


    ich habe im Rahmen der Einführung einer Arbeitszeiterfassung eine kleine Detailfrage:

    Auf welche Art müssen zur Erfüllung von § 16 (2) ArbZG die werktäglichen Überstunden erfasst werden? Reicht es aus, zu notieren, dass über die vertragliche Arbeitszeit hinaus (40h/Woche | 8h/Tag) 1,5 Überstunden am Mittwoch gemacht wurden oder muss notiert werden, dass von 18:15 Uhr bis 19:45 Uhr gearbeitet wurde, nachdem die Soll-Arbeitszeit um 18:15 erreicht war?


    Das Gesetz gibt keine Form der Erfassung vor, der Erfurter Kommentar bennent das auch explizit so. Die Aussage "Es genügt nicht die summarische Erfassung der GesamtAZ" (Rn. 4) wirkt auf mich nur als Einschränkung, dass "43h in KW 13" nicht genau genug ist. Schon "9,5h am Mittwoch" erscheinen mir dem Gesetze nach ausreichend als Angabe.


    Ich würde mir Start- und Endzeit der Überstunden wünschen, kann das aber nicht klar aus dem Gesetz entnehmen. Wie ist eure Einschätzung, bzw. welche zitierbare Stelle in der Literatur kann ich in das nächste Gespräch mitnehmen?


    (Es soll hier erst einmal nicht darum gehen, dass alle anderen Anforderungen und Urteile inzwischen eine ziemlich klare Sprache sprechen, was das detaillierte Erfassen angeht!)

  • Nicht nur im Lichte des BAG-Urteiles zur ArbZ-Erfassung kann m.E. eine konkrete Erfassung von Beginn und Ende sowie der Pausen rechtlich klar verargumentiert werden.


    Wie sonst kann geprüft werden, wann die Pause(n) gemacht wurde(n), wie lange sie waren, ob das dem ArbZG genügt? Wie sonst kann geprüft werden, ob die Ruhezeiten zwischen den Arbeitstagen eingehalten wurden? Ob Nachtarbeit vorliegt? Usw.?


    "AN hat gestern 9.30h gearbeitet und heute wieder" könnte halt auch bedeuten: Gestern 1200-2130 ohne Pause und heute 0630-1600 ohne Pause...


    Und auch da der BR Mitbestimmung bzgl der Lage der ArbZ hat und deren Einhaltung prüfen können muss, reicht eine Angabe der Dauer schlicht nicht aus.

    "Wenn Arbeit etwas schönes und erfreuliches wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen." (Paul Lafargue)

  • Tobias Clausing , den Absatz verstehe ich nicht so wirklich:

    (Es soll hier erst einmal nicht darum gehen, dass alle anderen Anforderungen und Urteile inzwischen eine ziemlich klare Sprache sprechen, was das detaillierte Erfassen angeht!)

    Das ist aber doch genau das, was Du brauchst? Aus der kompletten Erfassung der ArbZ folgt ja, dass auch die Überstunden erfasst sind.


    Oder stehe ich da auf den Schlauch?

    "Wenn Arbeit etwas schönes und erfreuliches wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen." (Paul Lafargue)

  • Wie sonst kann geprüft werden, ob die Ruhezeiten zwischen den Arbeitstagen eingehalten wurden?

    Nur ergänzend: Wie sonst kann geprüft werden, ob die tägliche Höchst-Arbeitszeit von 10 Std. eingehalten wurde?

    "AN hat gestern 9.30h gearbeitet und heute wieder" könnte halt auch bedeuten: Gestern 1200-2130 ohne Pause und heute 0630-1600 ohne Pause...

    ... letzeres würde nämlich auch bedeuten, dass der gestrige Arbeitstag um 12 Uhr begann und, da der Berechnungszeitraum 24h ab Arbeitsbeginn dauert, die Arbeitszeit für den gestern begonnenen Arbeitstag, also von 12:00 Uhr gestern bis 12:00 Uhr heute, sogar 15 Stunden betrug.


    Auf welche Art müssen zur Erfüllung von § 16 (2) ArbZG die werktäglichen Überstunden erfasst werden?

    Da steht, dass die "über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen" sei, was naturgemäß kaum ohne exakte Aufzeichnung der eigentlichen Arbeitszeit möglich ist. Wie willst du Mehrarbeit dokumentieren, ohne tatsächlichen Beginn und Ende der eigentlichen Arbeitszeit zu dokumentieren?

    Anders gefragt:

    Reicht es aus, zu notieren, dass über die vertragliche Arbeitszeit hinaus (40h/Woche | 8h/Tag) 1,5 Überstunden am Mittwoch gemacht wurden

    Wie kommst du auf diese 1,5 Sunden, wenn du nicht erfasst hast, dass und wann die "vorherigen" 8 Stunden geleistet wurden? Vielleicht hat der eine Kollege ja 5 Minuten früher begonnen und tatsächlich sogar 95 Mehr-Minuten gearbeitet?


    Zurück zu deiner Frage "Auf welche Weise ...": es ist nicht festgelegt, ob man das elektronisch oder manuell oder per Stechkarte oder Stempel oder wie auch immer machen muss, aber es muss recht offenkundig minutengenau sein.


    Es muss also einigermaßen zwingend u.a. der Arbeitsbeginn erfasst werden, denn sonst weiß man nicht, ob und wann und wieviel Mehrarbeit "entstanden" ist.


    Ansonsten GOTO #2 und Frieds überhaus berechtigten und zielführenden Fragen :)

    Man wird alt wie ein Haus und lernt doch nie aus.

  • Unser AG möchte erst einmal ganz grundsätzlich keine Erfassung der genauen Arbeitszeiten (Also Start, Pausen und Ende). Aber darüber diskutieren wir gerade.

    Wir haben aber ein System, das die MA verpflichtet, 100% der Arbeitszeiten auf bestimmte Innenaufträge (im Zweifel auf Intern/Diverses) zu buchen. Die Buchung umfasst aber nur die Dauer, also am Mittwoch insgesamt 9,5 Stunden. Daher weiß ich (Ok, eigentlich weiß das nur der MA), dass am Mittwoch 1,5 Stunden mehr geleistet wurden als vertraglich vorgesehen.


    Nun gibt es ziemlich harte Fakten: §16 ArbZG ist ein klares, eindeutiges geltendes Gesetz, an das wir uns halten müssen.

    Für meinen AG ist die Rechtsprechung des EuGH oder des BAG lediglich ein Hinweis an den Gesetzgeber, hier eine Lösung zu schaffen und kein Auftrag für Arbeitgeber.

    Die Einführung der Arbeitszeiterfassung würde unser AG nun gerne aufschieben, weil in der grauen Theorie ja in Q2 ein neues ArbZG vorgestellt werden soll und - die Hoffnung stirbt zuletzt - eine willkürliche Vertrauensarbeitszeit komplett ohne Schutz der MA dann weiter möglich sein könnte. Alles Quatsch - das weiß ich und ihr wisst das auch. Aber Mein AG "sieht das anders".

    Ich könnte mir auch einfach einen Anwalt nehmen oder das Ordnungsamt "befragen" oder über eine Einigungsstelle eine Klärung herbeiführen lassen. Aber am liebsten würde ich halt sagen können: "Da steht in undiskutierbaren Lettern, dass das so zu machen ist." Und dafür würde ich ungerne die nächsten vier Legislaturperioden abwarten, bis in der Regierung (egal welche) mal jemand die Eier hat, im ArbZG aufzuräumen.

  • Ich könnte mir auch einfach einen Anwalt nehmen

    Mach es.

    Fachliche Klärung ist ja wirklich zweifelsfrei vonnöten. Der Anwalt setzt ein Schreiben auf und erklärt die Sachlage aus juristischer Sicht.

    Eventuell steht dort dann auch drin, dass zumindest das BAG nicht nur Empfehlungen an den Gesetzgeber richtet und eventuelle Klärungsbedarf aufzeigt, sondern auch bestehendes, geltendes Recht auslegt und darauf basierend entscheidet.

    Man wird alt wie ein Haus und lernt doch nie aus.

  • Unser AG möchte erst einmal ganz grundsätzlich keine Erfassung der genauen Arbeitszeiten (Also Start, Pausen und Ende).

    Ich schreibe jetzt mal so:


    Er muss sie erfassen, für was - verdammt nochmal - hat das BAG das letztes Jahr denn entschieden!?

    Aber darüber diskutieren wir gerade.

    Und deswegen gibt es da keine Diskussion!


    Ich empfehle die E-Stelle. Wenn der AG fünfstellige Eurosummen bezahlen will, um die einzig mögliche rechtskonforme Lösung zu bekommen, dann soll es so sein.


    Für meinen AG ist die Rechtsprechung des EuGH oder des BAG lediglich ein Hinweis an den Gesetzgeber, hier eine Lösung zu schaffen und kein Auftrag für Arbeitgeber.

    Mit der Meinung ist er sehr alleine.

    "Wenn Arbeit etwas schönes und erfreuliches wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen." (Paul Lafargue)

    Einmal editiert, zuletzt von Fried () aus folgendem Grund: Ein Beitrag von Fried mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Alles mein Reden und ich bin völlig bei euch. Danke für die Bestätigung.

    Aber ich würde gerne - allein um mein Textverständnis und die Auslegung juristischer Schriften zu schärfen und weil wir uns ja sonst auch in Wortklaubereien detailverliebt streiten können - auf meine ursprüngliche Frage zurückkommen:

    Muss ich im Sinne von § 16 (2) ArbZG Start- und Endzeit der Überstunden erfassen?

    Eure Argumentation - so richtig sie auch sei - geht an diesem Paragraphen vorbei. Ich kann meine Überstunden genauso zuverlässig und minutengenau erfassen (völlig Systemunabhängig), ohne zu erfassen, wann diese angefallen sind.


    Nehmen wir dazu einfach mal an, dass die MA technisch ausschließlich in den Zeiträumen 07:00 Uhr bis 12:00 Uhr und 13:00 Uhr bis 18:00 Uhr arbeiten können. Damit ist zuverlässig sichergestellt, dass alle notwendigen Pausen- und Ruhezeiten und auch die Maximalzeit von 10 Stunden eingehalten werden. Für alle weiteren Regelungen des ArbZG (und das ArbSchG wird ja nur herangezogen, um die Einhaltung des ArbZG zu kontrollieren) benötige ich keine Start- und Endzeiten.


    Wie gesagt, eine rein akademische Frage!

  • und weil wir uns ja sonst auch in Wortklaubereien detailverliebt streiten können

    Ich habe keine Ahnung, wovon Du redest. Fried Weißt Du, was er meint? :saint:



    erfassen (völlig Systemunabhängig), ohne zu erfassen, wann diese angefallen sind

    Und genau da steckt, m.E. der Hase im Pfeffer: Im Gesetz steht nicht erfassen, dort steht aufzuzeichnen.


    Für eine simple Erfassung würde es reichen: ja, sind 1.5 Stunden angefallen. Eine Aufzeichnung bedeutet, so jedenfalls mein Verständnis davon, nicht nur die Erfassung des Endergebnisses, sondern aller Begleitumstände um sie reproduzierbar zu dokumentieren.


    Und wenn der AG sich hier absolut stur stellt, dann würde ich ihm das noch ein letztes Mal erklären, wie der BR die Dinge sieht, ihm auch gleich sagen, dass der nächste Schritt die kostenpflichtige Erläuterung durch den RA des BR ist, und der letzte Schritt (durch den vorherigen schon eingeleitet), dann das Verfahren gem. § 23 (3) BetrVG sei.


    Aber ihr hättet hier halt einen gesetzlichen Auftrag gem. § 80 BetrVG (darauf zu achten bla, bla, bla...) und könntet an der Stelle gar nicht anders. Ob er (also der AG) nicht vielleicht doch einmal die 37,50€ in die Hand nehmen will und seinen eigenen Rechtsbeistand diesbezüglich konsultieren wolle? Den würde er ohnehin brauchen, wenn ihr ihn vor den Kadi zerrt, aber es könnte günstiger sein, wenn er ihm vorher erklärt, da "heavy on the wood way" zu sein...

    Wer fragt ist ein Narr - für fünf Minuten. Wer nicht fragt bleibt ein Narr - sein Leben lang!

  • Ich denke man muss das ein Stück weit trennen, dann wird es klarer.

    Einmal haben wir das BAG Urteil (auf welches Fried sich bezieht), welches den AG verpflichtet die Arbeitszeit der MA zu dokumentieren. Leitsatz:

    Zitat

    1. Arbeitgeber sind nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen, für die der Gesetzgeber nicht auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG (juris: EGRL 88/2003) eine von den Vorgaben in Art. 3, 5 und 6 Buchst. b dieser Richtlinie abweichende Regelung getroffen hat.

    ...also klar, es muss Beginn & Ende der AZ erfasst werden.


    Dann haben wir den § 16 (2) ArbZG, der den AG verpflichtet Überstunden zu dokumentieren.

    Die Erfassung der genauen zeitlichen Lage der Überstunden ist meiner Ansicht nach überflüssig, da ja Beginn & Ende eh dokumentiert werden müssen.

    Daher sollte eine Dokumentation nach dem Schema: 9 - 18 Uhr, 1 Überstunde

    sowohl dem Urteil, als auch dem § 16 ArbZG gerecht werden.


    Er muss sie erfassen, für was - verdammt nochmal - hat das BAG das letztes Jahr denn entschieden!?

    für was frage ich mich allerdings auch, da das BAG auch gleich klargestellt hat, dass der AG diese Dokumentation an die MA delegieren kann und dann nur prüfen muss.

    ...also bloß alle MA "Stundenzettel" schreiben lassen und gut. (ist doch scheiße!)

    „Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist“

    Hanlons Rasiermesser

  • Ich klaube zwar gerne Worte, Tobias Clausing , bin aber v.a. auch ein Freund a) der Logik und b) der Effizienz.


    Und sowohl Logik als auch Effizienz sagen mir, dass bei Erledigung der rechtlichen Pflicht der täglichen Erfassung von Beginn und Ende der ArbZ automatisch auch Beginn, Ende und Umfang der Überstunden erfasst sind.

    "Wenn Arbeit etwas schönes und erfreuliches wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen." (Paul Lafargue)

  • Das Thema ist zwar bereits erledigt, aber falls es noch renitente Arbeitgeber gibt, hier noch eine offizielle Argumentationshilfe des Gesetzgebers.


    Das BMAS selbst gibt in seinen FAQ zu der BAG-Entscheidung folgende Antwort auf die Frage, ob Arbeitgeber mit der Arbeitszeiterfassung warten dürfen, bis das ArbZG angepasst ist:

    "Nein. Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 13. September 2022 verbindlich festgestellt, dass auch in Deutschland die gesamte Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufzuzeichnen ist. Das ist laut BAG bereits heute geltendes Recht."

    Und:
    "Um die Einhaltung der Höchstarbeitszeit sowie der täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten wirksam gewährleisten zu können, muss der Arbeitgeber Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit jeder Arbeitnehmerin bzw. jedes Arbeitnehmers aufzeichnen."