Darf ein AG eine Betriebsanweisung ohne den BR aushängen?

  • Hallo zusammen,

    unser Betrieb hat einen eigenen Fuhrpark und unsere Kraftfahrer müssen oft zum Entladen im Halteverbot stehen.

    Seit über 25 Jahren wurden alle Bußgelder (sowohl Geschwindigkeitsüberschreitungen als auch Park-/Halteverbote)

    in der Berufsgruppe der Kraftfahrer vom Arbeitgeber übernommen.

    Nun wurde am letzten Arbeitstag ein Aushang veröffentlicht, der mitteilt, dass ab neuem Jahr keine Bußgelder mehr übernommen werden.

    Kann der AG das machen, ohne mit uns darüber zu sprechen?

    Und zählt das in diesem Fall nicht auch unter eine betriebliche Übung, da die Kraftfahrer berufsbedingt in Parkverboten stehen müssen?

    Vielen Dank für eure Hilfe

  • Moin,


    "berufsbedingte Rechtsverstöße" können kein "Muß" sein. Auch Berufskraftfahrer müssen sich an Recht und Gesetz halten. Und wenn man wo nicht parken darf, dann ist das eben so.


    Man kann aber natürlich gegenüber dem AG durchblicken lassen, dass das Einhalten von Recht und Gesetz im Zweifelsfalle dazu führen wird, dass das Auslieferungsvolumen sinken wird, wenn sich durch das Halten in dafür ausgewiesenen Zonen die Verweildauer beim einzelnen Kunden erhöht. Vielleicht wird dann dem AG klar, dass die neue Regelung nicht zu seinem Vorteil sein wird ...

  • Ich stimme EDDFBR zu: Ein "Muss" gibt es da nicht. Im Gegenteil müssen die Kraftfahrer:innen da stehen und entladen, wo sie das dürfen. Dass der AG dann ggf Zusatzmaterial stellen und deutlich mehr Zeit einrechnen muss (zusätzliche Transportwege müssen unterstützt und bewältigt werden), sollte man ihm deutlich klarmachen.


    In der Tat würde ich hier außerdem eine betriebliche Übung zumindest nicht ausschließen wollen.

    "Wenn Arbeit etwas schönes und erfreuliches wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen." (Paul Lafargue)

  • Hallo,


    BAG vom 25.1.2001 - 8 AZR 465/00 - Leitsätze:


    1. Zusagen des Arbeitgebers über die Erstattung von etwaigen Geldbußen für Verstöße der Arbeitnehmer gegen Vorschriften über Lenkzeiten im Güterfernverkehr sind sittenwidrig und daher nach § 138 BGB unwirksam.

    2. Ein Arbeitgeber, der durch entsprechende Anordnungen bewußt in Kauf nimmt, daß es zum Verstoß gegen Vorschriften über Lenkzeiten kommt, handelt sittenwidrig und ist nach § 826 BGB gegenüber dem Arbeitnehmer zum Schadensersatz verpflichtet. Zu dem zu ersetzenden Schaden gehört nur in Ausnahmefällen die Erstattung von Geldbußen, die gegen den Arbeitnehmer verhängt werden.


    Lt. mir vorliegender Fachkommentierung ist dieses Urteil auf alle Verkehrsordnungswidrigkeiten anwendbar. Und bei "Sittenwidrigkeit" kann auch keine "betriebliche Übung" entstehen. Und die pauschale Übernahme kann auch als Anstiftung bzw. Beihilfe iSd §§ 26, 27 StGB gewertet werden.


    Der BR ist also hier in der Pflicht, seine Mitbestimmung so auszuüben, daß die Tourenpläne auch ohne Ordnungswidrigkeiten machbar sind.

    Und findet trotzdem eine Übernahme von Bußgeldern statt, dann ist sie wie Arbeitslohn zu behandeln - einschließlich Steuer und SV.

  • Und bei "Sittenwidrigkeit" kann auch keine "betriebliche Übung" entstehen.

    Nachvollziehbar.

    Der BR ist also hier in der Pflicht, seine Mitbestimmung so auszuüben, daß die Tourenpläne auch ohne Ordnungswidrigkeiten machbar sind.

    Genau so ist es.

    "Wenn Arbeit etwas schönes und erfreuliches wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen." (Paul Lafargue)

  • Man kann alles so organisieren, dass es der StVO entspricht. Dies ist allerdings oft mit mehr Zeitaufwand verbunden.

    Beispiel: Medikamente an eine Apotheke ausliefern. Oft findet man keinen Parkplatz in einer vielbefahrenen und vielbeparkten Straße. Wenn man 400m weiter fährt so findet man einen. Dann in diesem parken und die Medikamente ausliefern ist natürlich ein viel größerer Zeitaufwand. Noch schlimmer ist es, wenn man viele schwere Waren ausliefern muss.

    Allerdings hier mit "betriebliche Übung" zu argumentieren ist Unsinn. Mein Vorschlag ist: Ihr redet mal mit dem Chef und macht, wenn er nicht zustimmt, Dienst nach Vorschrift. Dass dann nicht alle Waren ausgeliefert werden können ist halt dann so.

  • Ihr redet mal mit dem Chef und macht, wenn er nicht zustimmt, Dienst nach Vorschrift. Dass dann nicht alle Waren ausgeliefert werden können ist halt dann so.

    Das klingt ja erstmal nett, aber mit Blick auf die durchaus bekannten Praktiken vieler Zustelldienste, auch etwas blauäugig. Oft ist es doch so, dass die Waren, welche nicht ausgeliefert werden können, einfach im Fahrzeug des entsprechenden Zustellers verbleiben, was aber nicht dazu führt, dass am nächsten Morgen weniger eingeladen wird. Also praktisch, "was Du heute nicht ausgeliefert bekommst, musst Du halt morgen zusätzlich machen". Diese Vorgehensweise noch garniert mit etwas "Druck" vom Chef und schon hat der durchschnittliche MA verstanden, "heute Dienst nach Vorschrift, heißt für mich morgen mehr Arbeit, oder ein unangenehmes Vorsprechen beim Vorgesetzten"

    Daher denke ich dies ist durchaus ein Thema, welches der BR nicht an die MA abschieben sollte nach dem Motto, "dann park halt da wo Du auch darfst, auch wenns dann länger dauert. Der Chef wird dann schon merken dass das kacke ist". - Nein wird er nicht, er wird nur noch mehr Druck auf die einzelnen MA ausüben.

    Natürlich ist es schwer hier eine wirklich "legale" Lösung zu finden, denn albarracin hat natürlich vollkommen Recht damit, dass die Übernahme von Bußgeldern (aus den genannten Gründen) sehr problematisch ist. - Gerade bei Geschwindigkeitsüberschreitungen kann ich das nicht nachvollziehen, ein Freifahrtschein fürs rasen darf es nicht geben.

    Was ich mir so ganz pragmatisch noch vorstellen könnte, wäre eine anteilige Übernahme im Rahmen des Steuerfreibetrages wenn dargelegt werden kann, dass es auch tatsächlich um ein "falschparken" zum reinen Be- und Entladen geht. Also quasi so, dass es kein "inflationäres falschparken" gibt (niemand interessiert sich für Parkverbot, Chef zahlt ja, als park ich nicht die 3 Meter weiter hinten wo ich darf, sondern bleib einfach hier stehen), aber es wird für den MA auch nicht so immens teuer, wenns mal wirklich nicht anders geht.

    Allerdings muss man wohl davon ausgehen, dass auch die teilweise Übernahme von Bußgeldern immer noch rechtswidrig ist, auch wenn damit der "erzieherische" Effekt zum Teil erhalten bleibt.

    „Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist“

    Hanlons Rasiermesser

  • auch etwas blauäugig

    Ja und nein. Auf der einen Seite, so ganz realistisch betrachtet, sehe ich die Sachlage ganz ähnlich wie Du. Das Problem ist doch, dass der AG den AN schlicht im Regen stehen lässt und sagt: mir egal. Lös das Problem. Und ein einzelner wird es nicht lösen können.


    Und in solchen Momenten fällt mir dann wieder einer der DER Sprüche der Gewerkschaften ein: "Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will." (Irgendwas um Mitte des 19 Jhrd.) Um klar zu machen: nicht nur du bist auf den AG angewiesen, ohne dich steht auch der AG im Regen.


    Und genau darum geht es hier: es hilft nicht, wenn ein einzelner Fahrer Dienst nach Vorschrift macht, weil der AG ihm dann sofort vorhalten wird: Schau, alle anderen bekommen es hin. Nur du nicht. Wo ist also offensichtlich das Problem?


    Erst wenn alle AN es zum Problem des AG machen, und der plötzlich feststellt, dass er den zugesagten Service nicht mehr liefern kann, wenn er sich nicht darum kümmert das Problem für seine AN zu lösen, wird sich etwas ändern.


    Da braucht es dann aber die nötige Solidarität, dass alle an einem Strang ziehen...

    Wer fragt ist ein Narr - für fünf Minuten. Wer nicht fragt bleibt ein Narr - sein Leben lang!

  • Da braucht es dann aber die nötige Solidarität, dass alle an einem Strang ziehen...

    ...was in etwa so wahrscheinlich ist wie das rosa farbene Einhorn, welches einem goldene Zuckerwatte kackend zur Hilfe eilt.

    8o

    Ironie an:

    Ist ja aber auch praktisch, man muss als BR nichts weiter tun als den MA zu sagen: "Macht alle nur noch Dienst nach Vorschrift und wenn Ihr das brav alle so macht, wird es der AG schon verstehen".

    ...und noch viel besser ist, wenn das dann in die Hose geht, kann man einfach sagen: "Tja, da wart Ihr wohl nicht solidarisch genug. Da könnt Ihr Euch jetzt bei denen bedanken die nicht mitgemacht haben".

    Ironie aus.

    Ich persönlich halte da den unbequemeren und für den BR mit höherem Arbeitsaufwand verbundenen Weg für zielführender:

    Der BR ist also hier in der Pflicht, seine Mitbestimmung so auszuüben, daß die Tourenpläne auch ohne Ordnungswidrigkeiten machbar sind.

    Also im Prinzip (sehr stark vereinfacht) nach dem Motto: Lieber AG, kein falschparken = erhöhter Zeitaufwand pro Auslieferung = planerisch weniger Touren pro Arbeitstag = sonst keine Genehmigung der Dienstpläne (oder was einem sonst so als Druckmittel einfällt).

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    Hanlons Rasiermesser

  • Ich persönlich halte da den unbequemeren und für den BR mit höherem Arbeitsaufwand verbundenen Weg für zielführender

    Da bin ich grundsätzlich ganz bei Dir. Aber wir haben es (lang, lang ist's her) auch schon erlebt, dass der AG sich auf den Standpunkt stellte: ist doch kein Problem. Geht doch auch so... und erst als wir es geschafft hatten, dass die Kollegen mit ihrem "Dienst nach Vorschrift" genügend Kunden dazu gebracht haben, sich beim Vorstand zu beschweren, war es plötzlich ein Problem, das einer Lösung bedurfte. (Bei uns ging es damals um Öffnungs- und Arbeitszeiten wo der AG der Meinung war, wenn der Laden um 0900 öffnet, beginnt auch die Arbeitszeit genau dann. Also haben die Kollegen die Türen geöffnet und erst dann die Rechner hochgefahren usw. usf.)


    Weshalb ich bis heute der Meinung bin: ruhig das Eine tun, ohne das Andere zu lassen... ;) (Es geht also ganz sicher nicht darum, als BR hier den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen und das Problem an die Kollegen zu delegieren. Wir mussten nur erst einmal den Kollegen klar machen, dass unsere Handlungsoptionen arg eingeschränkt sind, solange sie selber nicht auch helfen, die Unsinnigkeit der Entscheidung des AG mit aufzuzeigen. Und dazu musst man dann eben, auch als engagierte Service-Kraft mal ein paar Kunden "sauer fahren" (freundlich erklärt, wo das Problem ist, und gerade die Stammkunden haben er gerne übernommen, sich zu beschweren))

    Wer fragt ist ein Narr - für fünf Minuten. Wer nicht fragt bleibt ein Narr - sein Leben lang!

  • Ich danke euch allen für die vielen Hinweise, Ratschläge und Hilfestellungen.

    Aktuell suchen wir gemeinsam mit dem AG eine Lösung für einen Sonderpassus der in Ausnahmefällen greift.

  • Aktuell suchen wir gemeinsam mit dem AG eine Lösung für einen Sonderpassus der in Ausnahmefällen greift.

    ... dann schreibt aber bitte auch die Definition(en) für den oder die Ausnahmefälle gleich mit hinein, damit so eine Karte nicht willkürlich gezogen werden kann.

    Man wird alt wie ein Haus und lernt doch nie aus.