Verständnisfrage §102

  • Hallo,

    ich habe eine kurze Verständnisfrage zu dem §102. Es geht um Absatz 1:

    "Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam."


    Kommt der AG der Pflicht der Anhörung schon nach, wenn er ein Schriftstück aufsetzt mit 1-2 Sätzen Begründung und den BR gar nicht persönlich darüber weiter aufklärt?

    Und was ist der Betriebsrat? Wenn es nach unserem AG geht darf nur ein Mitglied von unserem 11er Gremium zu ihm ins Büro und sich konkret aufklären lassen. Ist das rechtens oder sind wir im Recht wenn wir sagen das alle 11 Mitglieder anwesend sein wollen, damit sich jeder selbst eine Meinung bilden kann und so es zu einer fairen Abstimmung kommt?

  • Mit Anhörung ist nicht Kommunikation von Mund zu Ohr gemeint, sondern dass der AG den BR über seine Kündigungsabsicht in Kenntnis setzt und dessen Stellungnahme innerhalb der gesetzlichen Fristen abwarten muß, bevor er die Kündigung aussprechen kann. Die Anhörung kann also auch schriftlich erfolgen und ist beweissicher. Ebenso sollte der BR seine Stellungnahme auch schriftlich abgeben.


    Die Anhörung muß die Gründe enthalten, die den AG zu seiner Absicht bewegen, sowie die Sozialdaten des AN und mögliche Gründe zu dessen Entlastung. Wenn der AG eine vollständige Anhörung in 1-2 Sätze packen kann, ist das formell nicht zu beanstanden. Entscheidend ist der Inhalt.


    Wenn der AG nur 1 BRM aufklärt, dient dieses als Zuträger. Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn der BRV unterrichtet wurde. Ob der AG wirklich 11 Leute zu sich ins Büro lassen muß, stelle ich mal beweislos in Abrede. Wenn es aber um eine fristgerechte Kündigung geht, bietet sich zur Unterrichtung des BR das Monatsgespräch an.

    Für einen Betriebsrat gilt: Lobt dich der Gegner, ist das bedenklich. Schimpft er, dann bist du in der Regel auf dem richtigen Weg. (August Bebel)

  • Wenn der AG nur 1 BRM aufklärt, dient dieses als Zuträger. Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn der BRV unterrichtet wurde. Ob der AG wirklich 11 Leute zu sich ins Büro lassen muß, stelle ich mal beweislos in Abrede. Wenn es aber um eine fristgerechte Kündigung geht, bietet sich zur Unterrichtung des BR das Monatsgespräch an.

    Hier möchte ich dir dezent widersprechen! Der Anprechpartner des AG ist der BRV. Also kann er nicht jedes BRM als Wasserträger missbrauchen, um eine Frist in Gang zu setzen.

    Die Kündigungsabsicht muss also gegenüber dem BRV oder dessen Vertreter geäußert werden, schriftlich oder mündlich.

    Und die Reaktion JEDES fähigen BRV MUSS sein: "Reichen Sie es bitte mit allen Informationen zum Beschluss ein".


    Fafina

    Spricht der AG die Kündigung ohne Beteiligung des BR aus, und der Gekündigte legt nicht innerhalb von 3 Wochen Kündigungsschutzklage ein, ist die Kündigung dennoch vollzogen. Dieses "unwirksam" muss ein Gericht feststellen!

  • Der Anprechpartner des AG ist der BRV. Also kann er nicht jedes BRM als Wasserträger missbrauchen, um eine Frist in Gang zu setzen.

    Das kann er schon so machen, aber dann ist es halt Sch... ;)


    Wendet der Arbeitgeber sich an ein einfaches Betriebsratsmitglied, gilt dieses nur als Erklärungsbote des Arbeitgebers an den Betriebsratsvorsitzenden bzw. an das zuständige Betriebsratsmitglied. Mitteilungen an das unzuständige Betriebsratsmitglied werden nur und erst dann gegenüber dem Betriebsrat wirksam, wenn sie von ihm an das Empfangsberechtigte Betriebsratsmitglied weitergeleitet werden. Der Betriebsrat muss sich nur das Wissen eines zur Entgegennahme von Erklärungen berechtigten oder hierzu ausdrücklich ermächtigten Betriebsratsmitglieds zurechnen lassen. Wurde ein unzuständiges Betriebsratsmitglied vom Arbeitgeber über dessen Kündigungsabsicht informiert und hat dieses seine Kenntnisse nicht weitergegeben, ist die Anhörung mangelhaft. Quelle

    Für einen Betriebsrat gilt: Lobt dich der Gegner, ist das bedenklich. Schimpft er, dann bist du in der Regel auf dem richtigen Weg. (August Bebel)

  • Und was ist der Betriebsrat?

    alle BRM zusammen sind der Betriebsrat, aber der BR kann diese Aufgaben auch an einen Ausschuss delegieren und dann wäre eben dieses Ausschuss zuständig und nicht der gesamte BR (was bei großen BR sicher auch Sinn macht)

    Ist das rechtens oder sind wir im Recht wenn wir sagen das alle 11 Mitglieder anwesend sein wollen, damit sich jeder selbst eine Meinung bilden kann und so es zu einer fairen Abstimmung kommt?

    das kann der BR intern so entscheiden und den BRV entsprechende "Vorgaben" machen, dann muss der BRV dem AG zur Anhörungssitzung einladen. Ob der AG dem Folge leistet?


    Der AG kann natürlich sagen: ich übergebe dem BRV alle relevanten Informationen für den BR, mehr muss ich nicht machen.

    Die Scheu vor der Verantwortung ist eine Krankheit unserer Zeit, denn Macht ohne Verantwortung ist wie ein Feuer außer Kontrolle.


  • Kommt der AG der Pflicht der Anhörung schon nach, wenn er ein Schriftstück aufsetzt mit 1-2 Sätzen Begründung und den BR gar nicht persönlich darüber weiter aufklärt?

    Dass und warum das durchaus ausreichend sein kann, hat Der Mann mit der Ledertasche ja schon erklärt.



    Wenn es nach unserem AG geht darf nur ein Mitglied von unserem 11er Gremium zu ihm ins Büro und sich konkret aufklären lassen.

    Da bin ich mir gerade nicht sicher, ob das jetzt ein "Muskelspiel" ist, oder rein der Notwendigkeit geschuldet (wer weiß wie groß das Büro ist...)


    Aber die Lösung ist relativ simpel: Will der BR eine Information ohne "stille Post" haben, dann lädt man denjenigen zur Sitzung ein. (Da hat der BR das Hausrecht ;) )


    Und ansonsten: Info nehmen, anschauen und wenn man das Gefühl hat, dass die Info unvollständig ist, dem AG erklären, dass eine Frist, wegen der unvollständigen Information, noch nicht angefangen habe und man um folgende Informationen bitte...

    Wer fragt ist ein Narr - für fünf Minuten. Wer nicht fragt bleibt ein Narr - sein Leben lang!

  • Also ich mach das mal der Reihe nach... :D


    Die Anhörung zur Kündigung kann natürlich schriftlich erfolgen (ist auch empfehlenswert wegen der Beweisbarkeit) und bedeutet nicht, dass der AG das gesamte Gremium in sein Büro einladen und sich erklären muss.

    Diese "Anhörung" bedeutet, dass der AG dem BR alle relevanten Informationen zu dieser Kündigung vorlegen muss und der BR dann innerhalb einer Woche darauf reagieren muss. (z.B. mit einem Widerspruch aus einem der im Gesetz genannten Gründe). D.h. innerhalb dieser Woche muss der Betriebsrat eine Sitzung durchführen (zur Not eine außerordentliche wenn in diese Woche keine reguläre Sitzung fällt) und in dieser Sitzung die Anhörung zur Kündigung, welche der AG vorgelegt hat, prüfen und entscheiden (und beschließen!) wie der BR darauf reagiert. Auch sollte der betroffene Arbeitnehmer in dieser Sitzung gehört werden, also er soll die Möglichkeit bekommen sich zu den genannten Gründen für seine Kündigung zu äußern.

    Wichtig bei dieser "Anhörung zur Kündigung" ist, dass sie vollständig erfolgt.


    Ei­ne kor­rek­te Anhörung des Be­triebs­rats setzt im­mer vor­aus, dass der Be­triebs­rat fol­gen­de Eck­da­ten be­kommt:

    • Na­me, Vor­na­me, Ge­burts­da­tum und Ge­schlecht des be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers
    • Funk­ti­on, d.h. Ar­beits­platz im Be­trieb bzw. Stel­le
    • Dau­er der Beschäfti­gung bzw. Ein­stel­lungs­da­tum
    • Ei­ne et­wai­ge ar­beits­ver­trag­li­che oder ta­rif­ver­trag­li­che Unkünd­bar­keit
    • Ei­ne et­wai­ge Be­hin­de­rung oder Gleichstellung
    • Art der ge­plan­ten Kündi­gung (or­dent­lich oder außer­or­dent­lich?)
    • Grund für die ge­plan­te Kündi­gung (= Mo­tiv des Ar­beit­ge­bers: War­um soll gekündigt wer­den?)

    Der Ar­beit­ge­ber muss sich ausführ­li­ch über die Gründe für die ge­plan­te Kündi­gung äußern. Denn das KSchG ver­langt für ei­ne wirk­sa­me, d.h. „so­zi­al ge­recht­fer­tig­te“ or­dent­li­che Kündi­gung, dass die­se durch be­triebs­be­ding­te oder in der Per­son oder im Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers lie­gen­de Gründe be­dingt ist, und dass die Kündi­gung das letz­te Mit­tel („ul­ti­ma ra­tio“) ist, d.h. dass es kei­ne den Ar­beit­neh­mer we­ni­ger hart tref­fen­den Al­ter­na­ti­ven zur Kündi­gung gibt.


    ...ob man da dem AG unbedingt erklären will "wie es richtig geht" muss man sich aber überlegen, denn in einem Kündigungsschutzprozess kann dem betroffenen AN eigentlich kaum was Besseres passieren, als eine unvollständige/nicht korrekte Anhörung des BR, denn damit ist die Kündigung dann einfach unwirksam.

    Wenn es nach unserem AG geht darf nur ein Mitglied von unserem 11er Gremium zu ihm ins Büro und sich konkret aufklären lassen.

    Es geht aber nicht nach Eurem AG, sondern nach § 26 Abs. 2 BetrVG: Der Vorsitzende des Betriebsrats oder im Fall seiner Verhinderung sein Stellvertreter vertritt den Betriebsrat im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse. Zur Entgegennahme von Erklärungen, die dem Betriebsrat gegenüber abzugeben sind, ist der Vorsitzende des Betriebsrats oder im Fall seiner Verhinderung sein Stellvertreter berechtigt.

    Wie vom Ledertaschenmann beschrieben kann der AG zwar jedes BRM bitten den "Postboten" zu spielen, aber kein BRM muss das machen, dass Gesetz regelt abschließend wer der Ansprechpartner für den AG ist.

    „Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist“

    Hanlons Rasiermesser

  • Wenn es nach unserem AG geht darf nur ein Mitglied von unserem 11er Gremium zu ihm ins Büro und sich konkret aufklären lassen.

    Ich glaube, hier herrscht auch Konsens, dass man idealerweise nicht alleine mit dem AG spricht. Es mag sinnvolle Ausnahmen geben, aber die sind eher selten.

  • Euer AG ist, mit Verlaub, ein ziemlicher Depp.


    Der AG hat hier zwar formal recht:

    Und was ist der Betriebsrat? Wenn es nach unserem AG geht darf nur ein Mitglied von unserem 11er Gremium zu ihm ins Büro und sich konkret aufklären lassen.

    Die Anhörung des AG hat kein Formerfordernis - kann also auch mündlich erfolgen - und geht an den/die BRV bzw bei Verhinderung an den/die sBRV, also formal an eine Person im BR (halt die richtige!).


    Aber! Auch mündlich muss die Anhörung vollständig sein.

    Wichtig bei dieser "Anhörung zur Kündigung" ist, dass sie vollständig erfolgt. Ei­ne kor­rek­te Anhörung des Be­triebs­rats setzt im­mer vor­aus, dass der Be­triebs­rat fol­gen­de Eck­da­ten be­kommt:

    • Na­me, Vor­na­me, Ge­burts­da­tum und Ge­schlecht des be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers
    • Funk­ti­on, d.h. Ar­beits­platz im Be­trieb bzw. Stel­le
    • Dau­er der Beschäfti­gung bzw. Ein­stel­lungs­da­tum
    • Ei­ne et­wai­ge ar­beits­ver­trag­li­che oder ta­rif­ver­trag­li­che Unkünd­bar­keit
    • Ei­ne et­wai­ge Be­hin­de­rung oder Gleichstellung
    • Art der ge­plan­ten Kündi­gung (or­dent­lich oder außer­or­dent­lich?)
    • Grund für die ge­plan­te Kündi­gung (= Mo­tiv des Ar­beit­ge­bers: War­um soll gekündigt wer­den?)

    Der Ar­beit­ge­ber muss sich ausführ­li­ch über die Gründe für die ge­plan­te Kündi­gung äußern. Denn das KSchG ver­langt für ei­ne wirk­sa­me, d.h. „so­zi­al ge­recht­fer­tig­te“ or­dent­li­che Kündi­gung, dass die­se durch be­triebs­be­ding­te oder in der Per­son oder im Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers lie­gen­de Gründe be­dingt ist, und dass die Kündi­gung das letz­te Mit­tel („ul­ti­ma ra­tio“) ist, d.h. dass es kei­ne den Ar­beit­neh­mer we­ni­ger hart tref­fen­den Al­ter­na­ti­ven zur Kündi­gung gibt.

    Und dann kommt der AG im Kündigungsschutzprozess anständig in Beweisnot, ...

    wenn er ein Schriftstück aufsetzt mit 1-2 Sätzen Begründung.

    Ein AG, der nicht vollkommen bescheuert ist, wird deswegen die Anhörung immer in Textform oder schriftlich machen.


    Ich empfehle, künftig als BR, wenn der AG das weiter so handhabt, im Beschluss zur Anhörung die Unvollständigkeit der Anhörung zu vermerken.

    "Wenn Arbeit etwas schönes und erfreuliches wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen." (Paul Lafargue)