Zweite Dienstreise, diesmal ist Anreise keine Arbeitszeit

  • Hallo,


    von Dienstreise steht kein Wort im Teilzeit-AV. (nur: Der AN verpflichtet sich, auch andere Arbeiten auszuführen, auch an einem anderen Ort.)
    Bei der ersten Dienstreise, vor Jahren, wurde die Anfahrt und Rückfahrt als Beifahrer im PKW des AG als Arbeitszeit gezählt. Beim zweiten Mal wurde dem AN einen Arbeitstag vor der Reise mitgeteilt, dass die Fahrt nicht zur Arbeitszeit zählt. Ist das so hinzunehmen?


    Extrem gedacht: Kann der AN auch z.B. täglich auf zehnstündige An- und Abreisen geschickt werden, bei der er seine Freizeit dann auf der Fahrt 'genießen' kann?


    Danke!

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  • Der AN verpflichtet sich, auch andere Arbeiten auszuführen, auch an einem anderen Ort.

    Der Passus ist so allgemein gehalten, dass es schwierig wird, hier eine konkrete (und fundierte) Empfehlung geben zu können.


    Grundsätzlich mal: Die Zeit als Beifahrer in einem Fahrzeug ist grundsätzlich keine Arbeitszeit, da man in der Zeit ja auch lesen oder sonst was machen könnte, die Zeit also mehr oder weniger zur freien Verfügung hat.


    Beim zweiten Mal wurde dem AN einen Arbeitstag vor der Reise mitgeteilt, dass die Fahrt nicht zur Arbeitszeit zählt.

    Das wäre dann der Punkt, wo ich dem AG erklärt hätte: Ach so? Nee, dann habe ich kein Interesse daran teilzunehmen. Da bekomme ich ja meine Stunden nicht zusammen. Dann könnt ihr jemand anderen schicken...


    Die Gefahr dabei: der AG schmeißt einen raus. Aber will ich für so einen AG arbeiten?


    Gibt es Reiserichtlinien in dem Unternehmen? Und gibt es einen BR?

    Wer fragt ist ein Narr - für fünf Minuten. Wer nicht fragt bleibt ein Narr - sein Leben lang!

  • Danke für die Antwort. Es gibt keine Reiserichtlinien.

    Ich habe im Netz verschiedene Meinungen gefunden und stelle sie mal geordnet dar.


    Reisezeit = Arbeitszeit?

    JA

    BAG: Reisezeit auch von zu Hause ist Arbeitszeit. https://www.bundesarbeitsgeric…ntscheidung/5-azr-424-17/ und https://www.bundesarbeitsgeric…ntscheidung/5-azr-553-17/


    JAIN

    RA: Reisezeit minus Zeit für normalen Weg zu Arbeit ist Arbeitszeit. https://www.vangard.de/blogbei…gilt-im-corona-homeoffice


    NEIN

    Zwar sagen sie reine Fahrzeit, bei der man nicht aktiv fährt oder arbeitet, sei Freizeit, aber es gibt keinen Verweis auf ein Gesetz oder Urteil. https://www.kanzlei-hasselbach…nstreise-und-arbeitszeit/


    --Lest ihr die BAG Begründung auch so eindeutig oder meint ihr, es kommt immer noch darauf an?


    "Grundsätzlich erbringt der Arbeitnehmer mit dem – eigennützigen – Zurücklegen des Wegs von der Wohnung zur Arbeitsstelle und zurück keine Arbeit für den Arbeitgeber. Anders ist es jedoch, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen hat. In diesem Falle gehört das Fahren zur auswärtigen Arbeitsstelle zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten, weil das wirtschaftliche Ziel der Gesamttätigkeit darauf gerichtet ist, Kunden aufzusuchen – sei es, um dort Dienstleistungen zu erbringen, sei es, um Geschäfte für den Arbeitgeber zu vermitteln oder abzuschließen. Dazu gehört zwingend die jeweilige An- und Abreise, unabhängig davon, ob Fahrtantritt und -ende vom Betrieb des Arbeitgebers oder von der Wohnung des Arbeitnehmers aus erfolgen" - BAG - 25.04.2018 und 17.10.2018

  • Arbeiter555 , beim letzten Link (den Du unter "Nein" subsumiert hast) lohnt das genauere Lesen, denn es wird zwischen Arbeitszeit iSd des Arbeitszeitrechtes und der Vergütungspflicht unterschieden. (Und gerade deswegen muss ich Moritz widersprechen, der sich nur auf das Arbeitszeitrecht, nicht aber auf die Vergütung bezieht)


    So ist die Zeit, die man auf einer Dienstreise dösend im Zug verbringt, zwar (nicht umumstritten) keine ArbZ iSd ArbZG, muss aber trotzdem vergütet werden.


    Wird z.B. ein:e AN vom AG während regulärer Arbeitszeiten auf eine Dienstreise geschickt, ist mindestens die Zeit zu vergüten, die der/die AN an diesem Tag regulär gearbeitet hätte.


    Die Vergütung von Reisezeiten außerhalb der regulären ArbZ, z.B. an eigentlich freien Tagen, ist seit 5 AZR 553/17 auch geklärt: Reisezeit ist hier vergütungspflichtig, wenn es keine anders lautende Vereinbarung gibt. Da es eine solche bei Arbeiter555 nicht gibt, muss der AG die Zeit bezahlen.

    "Wenn Arbeit etwas schönes und erfreuliches wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen." (Paul Lafargue)

    Einmal editiert, zuletzt von Fried ()

  • Diesen feinen Unterschied verstehe ich noch nicht. Darauf bezieht sich ja auch Dr. Nathalie Oberthür

    Die Dienstreise als (arbeitszeitrechtliche) Arbeitszeit
    Die Einordnung von Dienstreisen als (vergütungsrechtliche) Arbeitszeit kann seit der Entscheidung des BAG vom 17.10.2018 (5 AZR 553/17, ArbRB 2019, 35…
    www.arbrb.de

    "Die Einordnung von Dienstreisen als (vergütungsrechtliche) Arbeitszeit kann seit der Entscheidung des BAG vom 17.10.2018 (5 AZR 553/17, ArbRB 2019, 35 [Groeger]) als geklärt angesehen werden. Für die arbeitszeitrechtliche Dimension der Dienstreise gilt das bislang nicht. In dieser Frage stellt das BAG bislang auf die sogenannte Beanspruchungstheorie ab"

    1. Was bedeutet "arbeitszeitrechtliche Dimension"? Fried
    In meinem Fall reicht die eintägige Dienstreise über die reguläre Arbeitszeit hinaus. 2. Wodurch ist geklärt, dass diese zu vergüten ist? Und 3. wo kommt die Beanspruchungstheorie noch zur Anwendung?

    • Hilfreichste Antwort

    Arbeiter555 , der Begriff Arbeitszeit hat mindestens zwei ganz unterschiedliche Bedeutungen, die gerne durcheinander geraten.


    1. Arbeitszeitrecht: Europäisches Recht und das ArbZG definieren Höchstarbeitszeiten, schreiben Ruhe- und Pausenzeiten vor etc. In diesem Zusammenhang wird auch definiert, was ArbZ in diesem Sinne ist, und da kommt es u.a. auf die tatsächliche Beanspruchung an - daher kommt die Aussage, dass eine Nichttätigkeit während einer dienstlichen Zugfahrt Ruhezeit ist. Nur darauf bezieht sich die Beanspruchungstheorie.


    Das hat aber tatsächlich gar nichts mit dem hier zu tun:


    2. Vergütungsrecht: Darauf bezieht sich das BAG in 5 AZR 553/17. Als AN ist man auf einer Dienstreise, selbst wenn man im Zug nur netflixt oder döst, (verkürzt gesprochen) fremdnützig für den AG unterwegs, daher rührt die prinzipielle Pflicht des AG, die aufgewendete Zeit zu vergüten.


    (Oder nochmals anders ausgedrückt ein Satz eines Referenten aus meiner Grundlagenschulung ArbR I: "Als AN wird man nach deutschem Recht dafür bezahlt, dass man seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt, nicht dafür, dass man arbeitet.")


    Dass Dir die aufgewendete Zeit auch außerhalb Deiner regulären ArbZ zu vergüten ist, ergibt sich klar aus dem genannten BAG-Urteil (Ausnahme: Es besteht eine explizit anders lautende rechtsgültige Vereinbarung dazu).


    Zusatz / Klarstellung: Zu vergüten ist die aufgewendete erforderliche Reisezeit. Wenn es z.B. eine schnelle Direktverbindung gibt und der/die AN entscheidet sich für ein langsameres Verkehrsmittel oder eine Verbindung, die die Reisezeit erhöht, dann wird der AG nur die kürzere Zeit zu vergüten haben.

    "Wenn Arbeit etwas schönes und erfreuliches wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen." (Paul Lafargue)

    3 Mal editiert, zuletzt von Fried () aus folgendem Grund: Ein Beitrag von Fried mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • dass ohne eine Regelung die Vergütung zu erwarten ist

    Genau so. Sieh es einfach so, die wenigsten Menschen gehen arbeiten, weil sie nicht wissen wohin mit sich und ihrer Zeit. Sondern sie "verkaufen" ihre Arbeitszeit an den Arbeitgeber. Und wenn der AG will, dass ich mehr Zeit aufbringe, kann ich selbstverständlich erwarten, auch für mehr Zeit eine Vergütung zu bekommen.


    Und wenn der AG die Zeit nicht vergüten will, dann soll er die Zeit doch bitte selber aufbringen...

    Wer fragt ist ein Narr - für fünf Minuten. Wer nicht fragt bleibt ein Narr - sein Leben lang!

  • Arbeiter555 , als Faustregel kann man vmtl sagen, dass bzgl Fragen der Vergütung für (das Zurverfügungstellen von) Arbeitsleistung immer der § 612 BGB einschlägig ist.

    "Wenn Arbeit etwas schönes und erfreuliches wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen." (Paul Lafargue)

  • Alles was Fried sagt ist absolut richtig.

    Aber falls bei Euch ein Tarifvertrag angewendet wird, ist dringend zu prüfen ob es darin eine Regelung zur Vergütung der Reisezeit gibt. Denn das von Fried zitierte Urteil besagt auch, wenn es eine gibt ist diese anzuwenden.

    Da hab ich eine herbe Enttäuschung erlebt als ich aufgrund dieses Urteils versucht habe eine Vergütung von Reisezeit durchzusetzen. In unserem TV steht nämlich "Die zu vergütende Arbeitszeit beginnt und endet am jeweils zugewiesenen Arbeitsort". So, scheiße gelaufen! Es gibt eine tarifvertraglich Regelung zur Reisezeit, die ist auch lt. dem Urteil anzuwenden und sagt einfach: "Es gibt nix". :cursing:

    „Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist“

    Hanlons Rasiermesser

  • Dann weißt du ja, was beim nächsten Tarifvertrag angepasst wird!

    Schön wärs!

    ...aber ich weiß, dass es nicht so ist X/

    Ich bin auch in der Gewerkschaft aktiv und kenne die Forderungen für die nächste Tarifrunde und da sind immer andere Sachen wichtiger :cursing:

    „Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist“

    Hanlons Rasiermesser

  • Ich bin auch in der Gewerkschaft aktiv und kenne die Forderungen für die nächste Tarifrunde

    In unserem TV steht nämlich "Die zu vergütende Arbeitszeit beginnt und endet am jeweils zugewiesenen Arbeitsort".

    Könntest du uns mal sagen um welchen Tarifvertrag es sich hier handelt?

    Die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt, sei wachsam

    Reinhard Mey