Wahl Betriebsausschuss: Ungenügender Minderheitenschutz?

  • Hallo zusammen,

    bei uns wird der 5-köpfige Betriebsausschuss in Verhältniswahl gewählt, es gibt zwei "Lager": Mehrheitslager und Minderheitslager. Das Mehrheitslager hat einen Sitz mehr als das Minderheitslager im Betriebsrat.

    Das Mehrheitslager stellt Vorsitz und Stellvertretenden Vorsitz und besetzt damit bereits vor der Wahl 2 der 5 Sitze im Betriebsausschuss.


    1. Frage:

    Können jetzt Vorsitz und Stellv.Vorsitz an der Verhältniswahl für die Besetzung der übrigen 3 Sitze teilnehmen und ihre Stimme abgeben?


    A) Falls ja, dann führt das dazu, dass das Mehrheitslager von den 3 zu vergebenden Sitzen 2 erhält und das Minderheitslager 1 Sitz.

    Würde dann dazu führen, dass das Mehrheitslager dann 4 von 5 Sitzen im BA erhält und das Minderheitslager 1 von 5 Sitzen im BA erhält. Ist das so gedacht und vereinbar mit dem Minderheitenschutz?


    B) Falls nein, würde das Minderheitslager 2 Sitze erhalten und das Mehrheitslager nur noch 1 Sitz (also wenn Vorsitz und Stellv. Vorsitz nicht als Mitglieder des Mehrheitslager an der Wahl der übrigen Mitglieder für den BA teilnehmen).


    2. Frage:

    Wenn ein in den BA gewähltes Mitglied der Mehrheitsliste verhindert ist, rückt das nächste Mitglied der Mehrheitsliste nach, bei der Minderheitsliste ebenso. Soweit so gut.

    Was ist aber wenn der Vorsitz und/oder Stellv.Vorsitz verhindert sind? Ist dann eine separate Regelung zu treffen von welcher der beiden Listen (bzw. Lager) (Mehrheitsliste oder Minderheitsliste) zu laden ist? Oder rückt dann automatisch jemand von der Mehrheitsliste nach? (Aber bei der durchgeführten Listenwahl/Verhältniswahl zum BA standen ja Vorsitz und Stellv. Vorsitz nicht auf der Mehrheitsliste, da sie ja bereits per Amt Mitglied im BA geworden sind, somit sind Vorsitz und Stellv. Vorsitz nicht Teil des Wahlvorschlages der Mehrheitsliste für die BA-Wahl gewesen...).


    Kennt sich da jemand aus?

  • Zu 1) Können sie. Und ja, das führt dann bei Abstimmung nach Fraktionslinien zu einer 4:1-Besetzung des BA. Unschön, aber Fakt.

    Zu 2) habe ich letztens im Forum dazugelernt. Der BR kann und darf für den Fall der Abwesenheit von BRV und/oder sBRV weitere Vertretungsreihenfolgen festlegen, also quasi 2. sBRV, 3. sBRV etc - in dieser Reihenfolge wird dann auch in den BA nachgerückt.

    "Wenn Arbeit etwas schönes und erfreuliches wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen." (Paul Lafargue)

  • und vereinbar mit dem Minderheitenschutz?

    Sorry, aber einen Minderheitenschutz kennt das BetrVG einzig und ausschließlich für das Geschlecht in der Minderheit. Und das spielt weder beim BA, noch bei sonstigen Ausschüssen eine Violine.


    Der Rest sind halt "parteipolitische Spielchen"...

    Wer fragt ist ein Narr - für fünf Minuten. Wer nicht fragt bleibt ein Narr - sein Leben lang!

  • Kann mir irgendjemand endlich einmal den Paragraphen zeigen, in dem steht, dass ich, bei Listenwahl, nur noch so stimmen kann, wie die Liste abstimmt. Und wo steht geschrieben, dass auf den zur Wahl stehenden Listen für den BR-Ausschuss nur Mitglieder einer Liste stehen?.

    Ich dachte immer, dass ich im BR nach bestem Wissen und Gewissen für die Arbeitnehmer im Betrieb arbeite und nicht nach Listen- und / oder Gewerkschaftsmeinung.

  • Den Paragrafen gibt es nicht.

    Das Gremium bzw. die BRM entscheiden ob es eine Listenwahl oder Mehrheitswahl gibt.

    So wie bei der BR Wahl.

    Gibt es nur einen Wahlvorschlag mit Kandidaten wird in Mehrheitswahl gewählt.

    werden mehrere Listen eingereicht gibt es die Verhältniswahl.

    Fitting 29. Auflage § 27 Rn 18 und folgende

    Die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt, sei wachsam

    Reinhard Mey

  • Sorry, aber einen Minderheitenschutz kennt das BetrVG einzig und ausschließlich für das Geschlecht in der Minderheit.

    Aber ein bißchen Minderheitenschutz gibt es schon: Zwar ist ein allgemeiner Minderheitenschutz dem BetrVG fremd, aber in Ausnahmefällen (und nicht nur beim Geschlecht in der Minderheit) ist er angeordnet, und zwar bei der Wahl der Ausschussmitglieder und bei der Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder (§§ 27, 28 BetrVG) (eben weil ja da die Verhältniswahl (für mich= Minderheitenschutz) angeordnet ist.


    Von daher meine Frage gerade zum Betriebsausschuss, aber Fried hat es ja treffend gesagt: "Unschön, aber Fakt."

    Ich dachte immer, dass ich im BR nach bestem Wissen und Gewissen für die Arbeitnehmer im Betrieb arbeite und nicht nach Listen- und / oder Gewerkschaftsmeinung.

    Oh, das wäre schön :)



    Das Gremium bzw. die BRM entscheiden ob es eine Listenwahl oder Mehrheitswahl gibt.


    Naja, wenn das so wäre (Gremium oder BRM entscheiden), dann hätten wir ja wieder eine Mehrheitsentscheidung ohne Minderheitenschutz. Im §27 steht aber erstmal: Die weiteren Ausschussmitglieder werden vom Betriebsrat aus seiner Mitte in geheimer Wahl und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt.

    Erst danach kommt: Wird nur ein Wahlvorschlag gemacht, so erfolgt die Wahl nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl


    Der BR kann und darf für den Fall der Abwesenheit von BRV und/oder sBRV weitere Vertretungsreihenfolgen festlegen, also quasi 2. sBRV, 3. sBRV etc - in dieser Reihenfolge wird dann auch in den BA nachgerückt.

    Ok, und wenn der BR für den Fall der Abwesenheit von BRV und/oder sBRV keine weitere Vertretungsreihenfolge festgelegt hat, von welcher Liste wird dann nachgerückt?
    Mehrheitsliste oder Minderheitsliste?
    BRV und sBRV standen ja auf keiner der beiden Listen zum Zeitpunkt der Wahl, weil sie ja bereits per Amt im BA sind.

    Einmal editiert, zuletzt von Kintana () aus folgendem Grund: Ein Beitrag von Kintana mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Ok, und wenn der BR für den Fall der Abwesenheit von BRV und/oder sBRV keine weitere Vertretungsreihenfolge festgelegt hat, von welcher Liste wird dann nachgerückt?

    Mehrheitsliste oder Minderheitsliste?
    BRV und sBRV standen ja auf keiner der beiden Listen zum Zeitpunkt der Wahl, weil sie ja bereits per Amt im BA sind.

    M.E. rückt dann niemand nach, weil für diese beiden, die qua Amt BAM sind, keine Ersatzregelung getroffen wurde.

    "Wenn Arbeit etwas schönes und erfreuliches wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen." (Paul Lafargue)

  • Aber ein bißchen Minderheitenschutz gibt es schon: Zwar ist ein allgemeiner Minderheitenschutz dem BetrVG fremd, aber in Ausnahmefällen (und nicht nur beim Geschlecht in der Minderheit) ist er angeordnet, und zwar bei der Wahl der Ausschussmitglieder und bei der Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder (§§ 27, 28 BetrVG) (eben weil ja da die Verhältniswahl (für mich= Minderheitenschutz) angeordnet ist.

    Kintana

    Du "wirbelst" jetzt aber die Begrifflichkeiten nach Eigeninterpretation durcheinander wie es Dir beliebt :whistling:

    --> in §27 und §28 geht es um den "Wählerwillen" und nicht um "Minderheitenschutz"


    "Minderheiten" sind eben im BetrVG "Geschlechter" und nicht eine Gruppe/Liste mit weniger Sitzen.

    Und Verhältniswahl wird angerodent, damit der Wählerwille auch in den Ausschüssen wiedergespiegelt wird.

    Dem Gesetzgeber ist es hier völlig egal ob sich eine "Liste" oder "Gruppe" als Minderheit empfindet, weil sie weniger Sitze im Gremium hat. Es geht dem Gesetzgeber darum, dass die Mehrheitsgruppe (-liste) nicht durch ihre Stimmenmehrheit den Wählerwillen aushebelt.

    Hintergrund ist folgender:

    Der Betriebsrat könnte dann einen Betriebsausschuss (oder einen anderen Ausschuss) bilden, diesem Aufgaben zur selbstständigen Erledigung übertragen und dann den Ausschuss nur mit Mitglieder der "Mehrheitsgruppe" besetzen.

    Damit wäre im Ausschuss der Wählerwille nicht mehr vertreten und zur Beratung und Beschlussfassung würden eben nur noch "Vertreter" der Wähler der Mehrheitsgruppe Zugang haben.


    Das ist im übrigen nicht nur im BetrVG so geregelt, sondern auch in politischen Gremien z.B. auf Kommunalebene.

    Die Scheu vor der Verantwortung ist eine Krankheit unserer Zeit, denn Macht ohne Verantwortung ist wie ein Feuer außer Kontrolle.


  • M.E. rückt dann niemand nach, weil für diese beiden, die qua Amt BAM sind, keine Ersatzregelung getroffen wurde.


    Wo er Recht hat, hat er Recht.

    boah, ich war da ja echt eurer Meinung.

    Aber wenn ich mir den Fitting anschaue (29. Auflage, Rn 42+43 zu §27) ist das nicht korrekt.

    aus Rn43 "Hat der BR für den Fall der Verhinderung des BRVors. und/oder seines Stellvertreters keine vorsorgliche Regelung getroffen und holt er diese auch nicht nach, so ist die erforderliche Vollständigkeit des BetrAusschusses durch eine Ergänung aus dem kreis der Zugewählten Mitlg. des BetrAusschusses zu gewährleisten."

    Nicht die Dinge sind positiv oder negativ, sondern unsere Einstellung macht sie so. (Epiktet, gr. Philosoph)

  • Aber wenn ich mir den Fitting anschaue (29. Auflage, Rn 42+43 zu §27) ist das nicht korrekt.

    Mit Nachlesen hätte ich das auch gekonnt... *duckundwech*


    Aber spannend, es zeigt einmal mehr, dass man nicht nur so lange lesen muss, wie man es wissen will, sondern auch mal drüber hinaus. In der RN 42 steht klar, dass die vom BR bestimmten weiteren Nachrücker für Vorsitz bzw. stellv. Vorsitz dann auch in den BA nachrücken. Der Umkehrschluss ist aber offensichtlich nicht, wenn sie die nicht bestimmt haben, dass dann keiner nachrückt...


    Gut zu wissen und Danke für die Korrektur!


    Was dort nicht steht, und ich mich direkt frage: Wer leitet denn dann die Sitzung? Bzw. unterschreibt das Protokoll?

    Wer fragt ist ein Narr - für fünf Minuten. Wer nicht fragt bleibt ein Narr - sein Leben lang!

  • Dass das Nachrücken zu gewährleisten ist, ist mir nach dem Zitat klar. Aaaaaaber...

    "Hat der BR für den Fall der Verhinderung des BRVors. und/oder seines Stellvertreters keine vorsorgliche Regelung getroffen und holt er diese auch nicht nach, so ist die erforderliche Vollständigkeit des BetrAusschusses durch eine Ergänung aus dem kreis der Zugewählten Mitlg. des BetrAusschusses zu gewährleisten."

    ...der Fitting schweigt sich aus, wie das über die zugewählten Mitglieder laufen soll, denn BRV und sBRV wurden ja nicht über diese Listen gewählt, weswegen erst einmal niemand aus dem Kreis der Zugewählten herangezogen werden kann.


    Ob es eine Lösung wäre, hier wieder über D'Hondt vorzugehen, also in der Reihenfolge der Höchstzahlen, die Listen bei der BA-Wahl hatten?

    Wo er Recht hat, hat er Recht.

    Da muss ich Dir widersprechen. Aus Prinzip. :P

    "Wenn Arbeit etwas schönes und erfreuliches wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen." (Paul Lafargue)

  • Nun bei einer Listenwahl würde ich hier analog der Regelung zur Nachrückung von EBRM vorgehen.

    D.h. BRV und sBRV gelten dann als eine eigene Liste, da hier keine weiteren Nachrücker vorhanden rückt derjenige Nachrücker einer anderen Liste nach welcher insgesamt die höchste Stimmanzahl hat (Listensprung)


    Viele Grüße

    Bernd

  • ...der Fitting schweigt sich aus, wie das über die zugewählten Mitglieder laufen soll, denn BRV und sBRV wurden ja nicht über diese Listen gewählt, weswegen erst einmal niemand aus dem Kreis der Zugewählten herangezogen werden kann.

    ich habe nicht die kompl. Rn zitiert, weil mir das zuviel zu schreiben war:

    "Im Falle der Mehrheitswahl sind das die Bewerber mit den nächsthöchsten Stimmzahlen. Im Falle der Verhältniswahl sind die Ers-mitgl. denjenigen Listen zu entnehmen, auf die die nächsten Sitze entfallen wären."

    Nicht die Dinge sind positiv oder negativ, sondern unsere Einstellung macht sie so. (Epiktet, gr. Philosoph)

  • "Im Falle der Mehrheitswahl sind das die Bewerber mit den nächsthöchsten Stimmzahlen. Im Falle der Verhältniswahl sind die Ers-mitgl. denjenigen Listen zu entnehmen, auf die die nächsten Sitze entfallen wären."

    Na siehste. Dann ist meine Vermutung bzgl der Lösung ja nicht ganz doof gewesen.

    "Wenn Arbeit etwas schönes und erfreuliches wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen." (Paul Lafargue)