Nachweispflicht der Schwerbehinderung bei der Bewerbung

  • Hallo liebe Forenmitglieder,

    ich bin noch ziemlich neu in meinem Amt als Schwerbehindertenvertrauensfrau. Die allermeisten Fragen, die ich bisher klären musste konnte ich gut lösen. Aber jetzt finde ich einfach nicht die richtige Quelle bzw. die korrekte Stelle im SGB IX

    An mich wurde durch den Arbeitgeber folgende Frage herangetragen: muss ein schwerbehinderter oder gleichgestellter Bewerber zur Bewerbung einen Nachweis (z. B. Schwerbehindertenausweis) vorlegen, um seine Schwerbehinderung zu beweisen?

    Es geht also nur um die Fälle, bei denen im Lebenslauf oder Anschreiben schon mitgeteilt wird, dass eine Schwerbehinderung vorliegt. Dass das jedem Bewerber selbst überlassen bleibt, ob er die Schwerbehinderung anzeigt bei der Bewerbung, ist klar.

    Ich denke, dass es keine Pflicht gibt, den Nachweis bei der Bewerbung zu erbringen. Aber wie eingangs geschrieben: ich finde dazu nichts belastbares.

    Kann mir jemand hier auf die Sprünge helfen?

    Ich bedanke mich schon mal im Voraus

    Liebe Grüße

    Elsa

  • Hallo,


    kann mir nicht vorstellen, dass es dazu eine Pflicht gibt.

    Aber spätestens bei der Einstellung müsste die sich bewerbende Person ja eh dann einen Nachweis führen.

    Nicht die Dinge sind positiv oder negativ, sondern unsere Einstellung macht sie so. (Epiktet, gr. Philosoph)

  • Hallo,


    natürlich kann der AG bereits im Bewerberverfahren den Nachweis der Eigenschaft als schwerbehinderter/gleichgestellter Mensch verlangen.

    Schließlich sind bereits im Bewerberverfahren mit der Eigenschaft Ansprüche auf Leistungen bzw. Rechte verbunden.

    Und für die Geltendmachung dieser Leistungen bzw. Rechte ist der Ausweis nun mal Voraussetzung gem. § 152 Abs. 5 Satz 2 SGB IX:

    "Der Ausweis dient dem Nachweis für die Inanspruchnahme von Leistungen und sonstigen Hilfen, die schwerbehinderten Menschen nach diesem Teil oder nach anderen Vorschriften zustehen."

    Und diese Vorschrift ist auch analog auf den Bescheid der AA über eine Gleichstellung anzuwenden.

  • Guten Morgen,

    vielen Dank für Eure Rückmeldungen.

    Mir drängt sich folgende Frage auf: wenn ein Schwerbehinderter Bewerber "gezwungen" wird, bei der Bewerbung eine Kopie vom Ausweis mit vorzulegen, kann der Arbeitgeber ja mitunter schon erkennen, um was für eine Art von Behinderung es sich handelt (Merkzeichen).

    Das wiederrum widerspricht doch dem Grundsatz, dass Bewerber nicht nach der Art ihrer Behinderung explizit befragt werden dürfen?

  • Hallo,


    wenn ich rechtliche Vorteile in Anspruch nehmen will, muß ich nunmal die Berechtigung nachweisen.

    Das ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, der auch für schwerbehinderte/gleichgestellte Menschen gilt.


    Das hier

    kann der Arbeitgeber ja mitunter schon erkennen, um was für eine Art von Behinderung es sich handelt

    ist kein Grund. Denn entweder ist die Einschränkung zu unspezifisch (wie zB bei "G"), oder aber sowieso zumindest grob erkennbar.



    Das wiederrum widerspricht doch dem Grundsatz, dass Bewerber nicht nach der Art ihrer Behinderung explizit befragt werden dürfen?

    Das ist schon sehr, sehr weit hergeholt.

  • Mir drängt sich folgende Frage auf: wenn ein Schwerbehinderter Bewerber "gezwungen" wird, bei der Bewerbung eine Kopie vom Ausweis mit vorzulegen

    Kein Bewerber wird "gezwungen", seine Schwerbehinderten-Eigenschaft überhaupt zu offenbaren, sofern sich diese nicht auf die angestrebte Tätigkeit auswirkt.

    Aber wenn Bewerber/in diese Eigenschaft in der Bewerbung explizit angibt, dann muss sie/er dies auch belegen.


    Siehe auch diese völlig zutreffende Aussage:

    wenn ich rechtliche Vorteile in Anspruch nehmen will, muß ich nunmal die Berechtigung nachweisen.

    :thumbup:

    Man ergänze Vorteile um Nachteilsausgleiche, denn zumindest im Kontext einer Behinderung handelt es ja eher um Letzteres; aber auch für deren Inanspruchnahme ist der Nachweis nötig.


    Anders gedacht: Würde die bloße Behauptung reichen, würden nach kurzer Zeit 100% der Belegschaft eigenen Angaben nach schwerbehindert sein und u.a. Zusatzurlaub einfordern. Abwegig? Siehst du das Dilemma und weshalb Nachweise vorzulegen sind und dies kein Zwang ist, sondern eine "unabdingbare" Notwendigkeit?


    bei der Bewerbung eine Kopie vom Ausweis mit vorzulegen, kann der Arbeitgeber ja mitunter schon erkennen, ..........

    Der AG kann aber auch den GdB erkennen, künftig die SBV bei Maßnahmen informieren, welche die/den sbM betreffen, die neue Kollegin oder den neuen Kollegen bei seiner Pflichtmeldung zum Ende des ersten Quartals an die Arbeitsagentur mit auflisten und die Erfüllung der vorgeschriebenen Quote nachweisen, ggf. in Kooperation mit dem zuständigen IFD einen leidensgerechten Arbeitsplatz einrichten usw. usw. usw.

    Auch wenn man als Arbeitsnehmervertreter stets hellhörig und aufmerksam bleiben sollte, so ist doch nicht alles gegen die AN gerichtet, was AG so tun oder lassen.


    Und m.E. ist es auch eine Grundfunktion bzw. der Hauptzweck solch eines Ausweises, ihn als Nachweis vorlegen zu können - sowohl im Schwimmbad/Kino für einen Preisnachlass als eben auch bei einem Arbeitgeber für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen.


    Du musst deine fachlichen/beruflichen Qualifikationen nachweisen, um überhaupt eingestellt zu werden und ein ihnen angemessenes Gehalt fordern zu können; auch da reicht keine reine Erwähnung oder Behauptung von Berufsabschluss, Hochschuldiplom, Führerschein oder Pilotenlizenz, Kranführerschein oder Approbation - woher also die Annahme, das Vorliegen einer Schwerbehinderung müsse nicht belegt werden?


    ich bin noch ziemlich neu in meinem Amt als Schwerbehindertenvertrauensfrau.

    Na dann husch husch zum Seminar :D


    Grüße

    Scheeks

    Man wird alt wie ein Haus und lernt doch nie aus.

  • Kein Bewerber wird "gezwungen", seine Schwerbehinderten-Eigenschaft überhaupt zu offenbaren, sofern sich diese nicht auf die angestrebte Tätigkeit auswirkt.

    U.U. besteht Offenbarungspflicht, wenn direkt danach gefragt wird - m.W. ist die Rechtslage da nicht eindeutig.

  • Ich bin nicht verpflichtet, meine Eigenschaft als Schwerbehinderter zu offenbaren.


    Was ich als AN tun muss ist, dass ich die Frage nach einem Leiden, das im Widerspruch zu meiner angestrebten Tätigkeit steht, wahrheitsgemäß beantworten muss.


    Im Klartext: Haben sie eine Erkrankung, die im Widerspruch zu ihrer angestrebten Tätigkeit als Kranführer steht?

    Wenn ich dann krankhaft an Höhenangst leide, muss ich das dann schon wahrheitsgemäß gegenüber dem AG sagen.

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  • Hallo,


    das BAG mogelt sich seit in-Kraft-treten des AGG 2006 an einer klaren Aussage zur Zulässigkeit der Frage nach einer Schwerbehinderung vorbei und entscheidet nur "Einzelfälle".

    Da die BAG-Senate auch sonst keine Hemmungen haben, aufgrund von Einzelfällen grundsätzliche Aussagen zu treffen, ist dieses "Vorbeimogeln" schon ein sehr bewußtes Handeln des BAG.

    Aktuell gilt aber tendenziell für Bewerbergespräche, daß die Frage nach einer Schwerbehinderung unzulässig ist, aber ein*e Bewerber*in immer schon gesundheitliche Einschränkungen, die sich auf die geforderte Arbeitsleistung auswirken, offenbaren müssen - und zwar unabhängig davon, ob es für diese Einschränkung einen GdB gibt.

  • Nun ist es aber in der eigentlichen Fragestellung bereits bekannt, dass eine Schwerbehinderung (angeblich) vorliegt. Die Frage war hier eher nach der Nachweispflicht. Der AG hat nicht (unzulässig) nach einer Schwerbehinderung gefragt. Er muss die Aussage meines Erachtens (sonst werden ja auch Zeugnisse und Bescheinigungen vorgelegt) nicht einfach akzeptieren. Für den Datenschutz bestünde ja auch die Möglichkeit, sich die Korrektheit über die (hoffentlich anwesende) SBV bestätigen zu lassen oder durch Vorlage des Ausweises mit verdecktem Kennzeichen.

  • Hallo,


    für das "Vorbeimogeln" kann es aus meiner Sicht zwei Gründe geben:


    Entweder will sich niemand die "Finger verbrennen" an einer Rechtsfortbildung, nachdem das BverfG dem BAG ja in Sachen "Rechtsfortbildung" beim "zuvor-Arbeitsverhältnis" deutliche Grenzen aufgezeigt hat,

    oder

    es sind sich zwei Senate bzw. deren Vorsitzende tendenziell uneinig und es könnte eine widersprüchliche Rechtsprechung innerhalb des BAG drohen.

  • Nun ist es aber in der eigentlichen Fragestellung bereits bekannt, dass eine Schwerbehinderung (angeblich) vorliegt. Die Frage war hier eher nach der Nachweispflicht. Der AG hat nicht (unzulässig) nach einer Schwerbehinderung gefragt. Er muss die Aussage meines Erachtens (sonst werden ja auch Zeugnisse und Bescheinigungen vorgelegt) nicht einfach akzeptieren. Für den Datenschutz bestünde ja auch die Möglichkeit, sich die Korrektheit über die (hoffentlich anwesende) SBV bestätigen zu lassen oder durch Vorlage des Ausweises mit verdecktem Kennzeichen.

    Lieber Tobias,

    genau, es geht ja noch nicht um das Vorstellungsgespräch, in dem gefragt oder ein Nachweis erbeten wird. Sondern wirklich um den Bewerbungsprozess (also noch vor dem Bewerbungsgespräch). Und ich frage mich, ob es hier eine Rechtsgrundlage gibt, die begründet, dass ein Nachweis erbracht werden muss.

    Ich habe schon die passenden Fortbildungen, aber wie ich auch hier an den unterschiedlichen Antworten sehe, ist es nicht so einfach, da einszweidrei einen passenden § zu finden.

    Deinen Vorschlag, beim Bewerbungsgespräch z. B. durch die SBV - die natürlich anwesend ist ;) - die Korrektheit der Angabe durch Vorlage zu überprüfen ist meines Erachtens eine gute Idee.


    Kein Bewerber wird "gezwungen", seine Schwerbehinderten-Eigenschaft überhaupt zu offenbaren, sofern sich diese nicht auf die angestrebte Tätigkeit auswirkt.

    Aber wenn Bewerber/in diese Eigenschaft in der Bewerbung explizit angibt, dann muss sie/er dies auch belegen.

    Liebe:r Scheeks,

    das weiß ich doch, dass niemand in der Bewerbung gezwungen ist, seinen Schwerbehindertenstatus offen zu legen. Das muss man ja auch nicht als Mitarbeiter.

    Wenn ein schwerbehinderter Bewerber den Nachweis zwingend erbringenn müsste, dann würde das ja auf alle Bewerber mit Schwerbehinderung zutreffen, es wäre also keine Kann-Regelung (mir fällt jetzt keine bessere Bezeichnung dafür ein), sondern jede:r müsste zwingend bei der Bewerbung den Nachweis direkt mit beilegen. Dies wäre mir aber neu. Und ich weiß, dass das bisher bei weitem nicht alle Bewerber machen. Ich bin aber froh über jede Information zu diesem Thema.

    Liebe Grüße


    Auf jeden Fall: Vielen Dank für die vielen Informationen und Denkanregungen!

    2 Mal editiert, zuletzt von Elsa1 () aus folgendem Grund: Ein Beitrag von Elsa1 mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Hallo Elsa,


    diese Aussage von Dir

    ist es nicht so einfach, da einszweidrei einen passenden § zu finden

    kann ich nicht stehen lassen.

    Die Rechtsgrundlage habe ich Dir genannt. Und in der Fachliteratur ist das auch völlig unstrittig.

    Sondern wirklich um den Bewerbungsprozess (also noch vor dem Bewerbungsgespräch).

    Ab dem Moment, an dem ein*e Bewerber*in den Status der Schwerbehinderung/Gleichstellung geltend macht, ist er/sie ggfs. in der Nachweispflicht. Da gibt es keine zwei Meinungen.

  • Ab dem Moment, an dem ein*e Bewerber*in den Status der Schwerbehinderung/Gleichstellung geltend macht, ist er/sie ggfs. in der Nachweispflicht. Da gibt es keine zwei Meinungen.

    :thumbup:


    es geht ja noch nicht um das Vorstellungsgespräch, in dem gefragt oder ein Nachweis erbeten wird. Sondern wirklich um den Bewerbungsprozess (also noch vor dem Bewerbungsgespräch).

    Vielleicht hilft es dir, den Blickwinkel zu ändern: Sobald ein Bewerber eine Schwerbehinderung angibt, resultieren umgehend Pflichten für den Arbeitgeber.

    Im Öffentlichen Dienst muss der Bewerber i.d.R. zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden (sofern nicht offensichtlich und völlig ungeeignet), die SBV sowie auch die Mitarbeitervertretungen nach § 176 SGB IX sind umgehend zu informieren ... alles natürlich rechtzeitig vor dem Vorstellungsgespräch.

    Der Bewerber gibt ja die Schwerbehinderung nicht "just for fun" an, sondern mit einer Erwartungshaltung: Er darf z.B. auf die Beteiligung der SBV am Stellenbesetzungsverfahren zählen, welche ihrerseits die Firma sowie auch die Bewerbungsunterlagen weiterer Bewerber kennt und darauf achtet, dass der schwerbehinderte Bewerber nicht aufgrund der Behinderung benachteiligt wird.

    Im Gesetz steht aber an keiner Stelle, dass die SBV stets und generell in alle Stellenbesetzungsverfahren einzubinden sei und an allen Vorstellungsgesprächen teilnehmen solle und dürfe, weil erst dort Ausweise vorzulegen wären und man erst dann wüsste, dass ein Mensch, der eine Behinderung angegeben hat, auch tatsächlich schwerbehindert ist.


    Sehr häufig finden häufig auch Gespräche mit anderen Bewerbern für dieselbe vor dem Gespräch des schwerbehinderten Bewerbers statt und auch dort muss die SBV im Interesse des schwerbehinderten Bewerbers teilnehmen - kann sie aber nicht, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft nicht belegt wurde und die SBV nicht eingeladen wurde.


    Wie also sollten der AG und auch die Interessenvertetungen (SBV sowie BR/PR) denn ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommen ohne Nachweis der Schwerbehinderung?


    Und diese Pflichten für AG und SBV und BR/PR sind auch die Rechtsgrundlage für den Nachweis. Ob du einen expliziten Satz im SBG IX findest, der die Vorlage des Ausweises fordert, weiß ich nicht, manche Sachen ergeben sich auch so zweifelsfrei aus anderen Vorschriften.

    Man wird alt wie ein Haus und lernt doch nie aus.