Wie weit reicht die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers?

  • Hallo alle zusammen,


    Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ist solange kein Problem wie es sich um kolletive Maßnahmen geht, die, so wie ich denke, schon hinreichend geregelt sind.
    Spannend wird es für mich in dem Moment, wenn ein Kollege, eine Kollegin, individuelle Bedürfnisse hat.
    Konkreter Fall: Eine MA bringt ein Attest, weil sie aufgrund von kardialen und pneumologischen Problemen keine Maske tragen kann.
    Der Arbeitgeber behauptet aber nun, dass dieses Attest für ihn nicht bindend sei, sprich, er verlangt eine Maske im Haus, obwohl das fr die Kollegin gefährlich werden könnte.
    Kann er das so einfach verlangen? Wenn nein, wo ist die rechtliche Grundlage?
    Meiner Meinung nach ergibt sich aus dem einfachen Grundsatz, dass eine Arbeit nicht krankmachen darf, eine Handlungserfodernis.

    Oder?

  • Hallo,

    bmas sagt zum Thema betrieblicher Infektionsschutz:

    "Die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung verpflichtet den Arbeitgeber zur Ermittlung von Tätigkeiten und Bereichen, bei denen Masken zum Schutz vor Infektionen getragen werden müssen. Dies erfolgt im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung und der darauf basierenden Erstellung oder Aktualisierung des betrieblichen Hygienekonzepts. Wesentliches Kriterium für die Festlegung einer betrieblichen Maskenpflicht ist, dass bei den ausgeführten Tätigkeiten beziehungsweise bei Aufenthalt in den betroffenen Bereichen technische und organisatorische Maßnahmen allein nicht ausreichen bzw. nicht möglich sind und daher das Tragen von Masken als Schutzmaßnahme notwendig ist.

    Diese Notwendigkeit besteht insbesondere, wenn in Innenräumen der Mindestabstand von 1,50 Meter zwischen anwesenden Personen nicht eingehalten werden kann oder bei gleichzeitiger Anwesenheit mehrerer Personen eine ausreichende Lüftung nicht möglich ist."

    Wenn also im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung festgestellt wurde, dass für den Arbeitsplatz als persönliche Schutzausrüstung (PSA) Masken getragen werden müssen, müssen auch alle MA Masken tragen.

    Meiner Ansicht nach müsste in dem Falle geprüft werden, ob die Kollegin an einem anderen Arbeitsplatz beschäftigt werden kann, wo Abstand und Lüftung gewährleistet sind und keine Masken getragen werden müssen.

    Hab das hier noch gefunden:

    Ein Arbeitgeber muss einen Mitarbeiter, dem ein ärztliches Attest bescheinigt, dass er am Arbeitsplatz keine Maske tragen kann, nicht im Betrieb beschäftigen – auch nicht im Homeoffice. Das entschied das Arbeitsgericht Siegburg im Hauptsacheverfahren.

    Arbeitsgericht Siegburg, Urteil vom 18.08.2021, Az: 4 Ca 2301/20, Entscheidungen im Eilverfahren: LAG Köln, Urteil vom 12.4.2021, Az: 2 SaGa 1/2; Vorinstanz: Arbeitsgericht Siegburg, Urteil vom 16.12.2020, Az: 4 Ga 18/20Arbeitsgericht Siegburg, Urteil vom 18.08.2021, Az: 4 Ca 2301/20, Entscheidungen im Eilverfahren: LAG Köln, Urteil vom 12.4.2021, Az: 2 SaGa 1/2; Vorinstanz: Arbeitsgericht Siegburg, Urteil vom 16.12.2020, Az: 4 Ga 18/20

    A

  • Hallo Bubsel,

    der Kollege hat schon gut geantwortet.

    Eine MA bringt ein Attest, weil sie aufgrund von kardialen und pneumologischen Problemen keine Maske tragen kann.

    Wenn dem wirklich so ist, wie ist es denn die letzten 2 Jahre gelaufen? Ist die Kollegin neu angefangen, hat Sie vorher eine Maske getragen, ist die Maskenpflicht neu eingeführt worden, arbeiten ihr in einem sensiblen Bereich, habt ihr einen BR, was sagt der dazu?

  • Vielen Dank für Eure Antworten.

    Das Urteil passt nicht so ganz, da die Kollegin bisher im Homeoffice gearbeitet hat und es lediglich bei Spätdiensten eine Anwesenheitspflicht gibt. Alledings gibt es sehr wohl auch andere KollegenInnen, die den Dienst abdecken könnten.

    Ich suche eine rechtliche Grundlage, die dem GF gezeigt werden kann.

    Denn im Grunde könnte man die Kollegin sehr wohl entlasten, zumal ja auch die Maskenpflkicht ein endliches Thema ist.

  • Die Fürsorgepflicht des AG gilt natürlich auch individuell den AN gegenüber. Eine gute Zusammenfassung gibt es hier.


    Der im Thread geschilderte Fall betrifft "Leben und Gesundheit" der betroffenen AN. Das Attest hat den AG zu interessieren. Und zwar insofern, dass er nun prüfen muss, ob und wie er die AN für sich zumutbar ohne Maske beschäftigen kann. (In den verlinkten Urteilen war das, wenn ich das beim schnellen Überfliegen richtig gesehen habe, eben nicht der Fall).


    Bei dieser Frage ist m.E. der BR zu beteiligen.


    Noch eine wichtige Frage: Auf welcher rechtlichen Grundlage beruht eigentlich die Maskenpflicht?

    "Wenn Arbeit etwas schönes und erfreuliches wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen." (Paul Lafargue)

    Einmal editiert, zuletzt von Fried () aus folgendem Grund: Ein Beitrag von Fried mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Guten Morgen,


    danke Fried für Deine Antwort! Ich sehe das genauso wie Du: Es geht hier um die Gesundheit der Kollegin! Man darf als AG eben nicht davon ausgehen, dass jeder Mitarbeiter gesund ist und das Masken tragen gleichermaßen gut verträgt. Wir sind ein Unternehmen im Gesundheitswesen, wo das Maskentragen absolut Sinn macht.
    Aber man darf einzelne Kollegen eben auch nicht ausschließen, nur weil sie schlechtere Voraussetzungen haben.
    Ich denke hier auch an Schikane der Vorgesetzten, weil Homeoffice die ganze Woche über funktioniert, nur eben nicht Freitag abends, wenn der ungeliebte Spätdienst abgedeckt werden soll.
    Ich habe gehofft, hier eine rechtliche Grundlage zu bekommen, die das fahrlässige Verhalten des AG untermauert.

  • Man darf als AG eben nicht davon ausgehen, dass jeder Mitarbeiter gesund ist und das Masken tragen gleichermaßen gut verträgt.

    doch das darf man als AG und zwar solange, bis der AN sich krank meldet und/oder gesundheitliche Probleme geltend macht.


    Aber man darf einzelne Kollegen eben auch nicht ausschließen, nur weil sie schlechtere Voraussetzungen haben.

    grundsätzlich nicht, kommt aber ggf. auf den Einzelfall an - wenn die gesundheitliche Einschränkung und die Tätigkeit sich gegenseitig ausschließen, dann kann ein gesundheitliches Problem auch zur Beendigung des AV führen


    Ich denke hier auch an Schikane der Vorgesetzten, weil Homeoffice die ganze Woche über funktioniert, nur eben nicht Freitag abends, wenn der ungeliebte Spätdienst abgedeckt werden soll.

    das ist ein Widerspruch in sich - Du schreibst ja schon, das HO am Freitag nicht funktioniert, damit muss der Vorgesetzte doch handeln, damit er seinen "Arbeitsauftrag" erfüllen kann.

    "Schikane" wäre es doch erst, wenn HO eben funktionieren würde, der Vorgesetzte es aber trotzdem nicht will das HO gemacht wird, trotz gesundheitlicher Probleme.


    HO soll ja überall dort angeboten werden, wo es möglich ist - die Frage wäre jetzt mMn:

    Warum funktioniert das die Woche über mit HO, aber Freitags abends nicht? (kann ich mir schon denken, warum das Freitags abends mit HO nicht "rund läuft")

    Und dann wäre die "Ursache der Probleme" zu hinterfragen und abzustellen und dann gibt es keinen Grund mehr, am Freitag abend HO zu untersagen.


    Als BR würde ich mir genau diese Fragen von AG ggf. dem beurteilenden Vorgesetzten erklären lassen.

    Die Scheu vor der Verantwortung ist eine Krankheit unserer Zeit, denn Macht ohne Verantwortung ist wie ein Feuer außer Kontrolle.


    5 Mal editiert, zuletzt von Randolf ()

  • "Schikane" wäre es doch erst, wenn HO eben funktionieren würde, der Vorgesetzte es aber trotzdem nicht will das HO gemacht wird, trotz gesundheitlicher Probleme.

    Genau, das ist es ja. Wie Du Dir denken kannst, ist der Spätdienst freitags nicht gerade der Beliebteste. Tatsache ist, dass dieser in Präsenz abgedeckt werden muss. In der Abteilung arbeiten aber noch andere KollegenInnen, die das vor Ort tun könnten, zumal sie sowieso schon vor Ort sind. Die betroffene Kollegin müßte erst in die Firma fahren, um den Dienst machen zu können.
    Trotz Attest wird aber auf die Anwesenheit bestanden. Der AG meint, ein Attest sei lediglich eine Empfehlung und der AG müsse darauf nicht reagieren.


    doch das darf man als AG und zwar solange, bis der AN sich krank meldet und/oder gesundheitliche Probleme geltend mach

    Ich meine damit keine akuten Erkrankungen, die eine Krankmeldung erfordern. Es geht hier vielmehr um chronische Dinge, die man sich nun mal im Laufe des Lebens zuziehen kann ...wie etwa Diabetes mellitus, Asthma bronchiale oder kardiovaskuläre Insuffizienzen. (Wie in meinem Ausgangspost beschrieben).

    Die Grundfrage ist doch, inwieweit der AG auf Maßnahmen bestehen kann, die individuell den Mitarbeitern schaden können, bzw. zu einer Krankschreibung führen.
    Meine Meinung dazu: Der Arbeitgeber hat auch eine Fürsorgepflicht für Kollegen, die nicht mehr so gut funktionieren wie früher einmal. Erst recht, wenn der Kollege sich den gesundheitlichen Schaden erst durch seine Arbeit zugegzogen hat.

    Einmal editiert, zuletzt von Bubsel () aus folgendem Grund: Ein Beitrag von Bubsel mit diesem Beitrag zusammengefügt.


  • Trotz Attest wird aber auf die Anwesenheit bestanden. Der AG meint, ein Attest sei lediglich eine Empfehlung und der AG müsse darauf nicht reagieren.

    Das ist natürlich falsch. Der AG muss reagieren. Da es hier zumutbar erscheint, die AN freitags nicht einzusetzen, muss der AG das Attest m.E. umsetzen.


    Der BR hat im Übrigen bei Homeoffice bzw mobiler Arbeit Mitbestimmung, auch bei der Lage der ArbZ. D.h. er hat Mittel zur Hand, der AN zu helfen.

    "Wenn Arbeit etwas schönes und erfreuliches wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen." (Paul Lafargue)

  • Die Grundfrage ist doch, inwieweit der AG auf Maßnahmen bestehen kann, die individuell den Mitarbeitern schaden können, bzw. zu einer Krankschreibung führen.

    gar nicht, er muss es aber wissen um es unterlassen zu können

    Meine Meinung dazu: Der Arbeitgeber hat auch eine Fürsorgepflicht für Kollegen, die nicht mehr so gut funktionieren wie früher einmal. Erst recht, wenn der Kollege sich den gesundheitlichen Schaden erst durch seine Arbeit zugegzogen hat.

    völlig richtig

    Der AG meint, ein Attest sei lediglich eine Empfehlung und der AG müsse darauf nicht reagieren.

    ein Attest ist erstmal eine Bescheinigung/Beglaubigung eines Zustandes.

    Einem Attest "folgt" dann eine Empfehlung einer Behandlung oder eine Empfehlung ein für bestimmtes handeln (hier Maske tragen)

    Hier ist der AG im Unrecht: ein Attest ist keine Empfehlung.


    "Müssen" muss der AG zwar nicht (wie man so schön sagt), aber dann muss er mit den Konsequenzen leben: in den meisten Fällen, würde ein Arzt den MA dann ggf. eine AUB ausstellen (eine rein spekulative Vermutung meinerseits, keine Handlungsempfehlung).

    Ggf. muss der AG dann auch wegen Verletzung seiner Fürsorgepflicht nochmal "in die Verantwortung" genommen werden, aber ist der MA bereit gegen den AG vorzugehen?


    Nichtsdestrotz:

    HO soll ja überall dort angeboten werden, wo es möglich ist - die Frage wäre jetzt mMn:

    Warum funktioniert das die Woche über mit HO, aber Freitags abends nicht? (kann ich mir schon denken, warum das Freitags abends mit HO nicht "rund läuft")

    Und dann wäre die "Ursache der Probleme" zu hinterfragen und abzustellen und dann gibt es keinen Grund mehr, am Freitag abend HO zu untersagen.


    Als BR würde ich mir genau diese Fragen von AG ggf. dem beurteilenden Vorgesetzten erklären lassen.

    schon gemacht?

    Was war die Begründung des AG für dieses Vorgehen? also sachlich?

    Die Scheu vor der Verantwortung ist eine Krankheit unserer Zeit, denn Macht ohne Verantwortung ist wie ein Feuer außer Kontrolle.


    Einmal editiert, zuletzt von Randolf ()

  • Ich habe gehofft, hier eine rechtliche Grundlage zu bekommen, die das fahrlässige Verhalten des AG untermauert.

    Also wenn Ihr einen BR habt, sollte der zuerst natürlich sein Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bemühen und anschließend dem AG § 4 Nr. 5 & 6 ArbSchG erklären.

    Denn zum einen ist die FFP2-Maske eine individuelle Schutzmaßnahme und damit nachrangig gegenüber allen anderen Maßnahmen. D.h. bevor der AG nicht alle organisatorischen Maßnahmen (wie durchgehend Homeoffice) ausgeschöpft hat, darf er das Maske Tragen eh nicht anordnen (§ 4 Nr. 5 ArbSchG).

    Zum Anderen ist die Kollegin mit ihrer Maskenunverträglichkeit besonders schutzbedürftig und sowohl das Maske Tragen, als auch das erhöhte Infektionsrisiko durch die Maskenunverträglichkeit, stellen spezielle Gefahren für sie dar, was der AG zu berücksichtigen hat. (§ 4 Nr. 6 ArbSchG).

    „Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist“

    Hanlons Rasiermesser

  • Denn zum einen ist die FFP2-Maske eine individuelle Schutzmaßnahme und damit nachrangig gegenüber allen anderen Maßnahmen. D.h. bevor der AG nicht alle organisatorischen Maßnahmen (wie durchgehend Homeoffice) ausgeschöpft hat, darf er das Maske Tragen eh nicht anordnen (§ 4 Nr. 5 ArbSchG).

    Zum Anderen ist die Kollegin mit ihrer Maskenunverträglichkeit besonders schutzbedürftig und sowohl das Maske Tragen, als auch das erhöhte Infektionsrisiko durch die Maskenunverträglichkeit, stellen spezielle Gefahren für sie dar, was der AG zu berücksichtigen hat. (§ 4 Nr. 6 ArbSchG).

    Super! Vielen Dank! Einen Paragraphenreiter an seiner Seite zu haben, bringt schon manchmal ungemeine Vorteile. :) :)
    Außerdem sieht man manchmal den Wald vor Bäumen nicht.
    Wir sind hier eben ein Betrieb im Gesundheitswesen, dass per Auftrag schon das Tragen einer Maske erklärt.
    Aber ich hoffe doch sehr, dass dies endlich ist und auch wir wieder normal rumlaufen können.
    Zumal im Aldi nebenan auch keine Maske mehr getragen wird. ;)

  • Was ist eigentlich normal?

    Normal bedeutet, der Norm zu entsprechen, also den allgemein anerkannten und als verbindlich geltenden Regeln und Erwartungen für das Zusammenleben in einer Gesellschaft.

    Aber ich hoffe doch sehr, dass dies endlich ist und auch wir wieder normal rumlaufen können.

    also wenn ich auf die letzten 2 Jahre zurückblicke, dann wäre mit-Maske per Definition aktuell normal =O

    Die Scheu vor der Verantwortung ist eine Krankheit unserer Zeit, denn Macht ohne Verantwortung ist wie ein Feuer außer Kontrolle.


  • Aber ich hoffe doch sehr, dass dies endlich ist und auch wir wieder normal rumlaufen können.

    Analog zu einer BEM sollte aber die Wiedereingliederung in die Normalität langsam und schrittweise erfolgen, damit wir uns nach langer Abstinenz wieder vorsichtig an den vorherigen Normalzustand gewöhnen können. ;)


    Einer Kollegin, die (zu meinem Leidwesen) weiterhin freiwillig Maske trägt, habe ich erklärt, dass die Maske auch eine persönliche Schutzmaßnahme gegen unangeforderte Küsse darstellt und sie mich mit Rücksicht auf mein Arbeitsverhältnis wohl nicht in Versuchung führen möchte... 8o

    Für einen Betriebsrat gilt: Lobt dich der Gegner, ist das bedenklich. Schimpft er, dann bist du in der Regel auf dem richtigen Weg. (August Bebel)

  • Einer Kollegin, die (zu meinem Leidwesen) weiterhin freiwillig Maske trägt, habe ich erklärt, dass die Maske auch eine persönliche Schutzmaßnahme gegen unangeforderte Küsse darstellt und sie mich mit Rücksicht auf mein Arbeitsverhältnis wohl nicht in Versuchung führen möchte... 8o

    Das ist tatsächlich ein nicht zu unterschätzender Faktor. Viele (in der Regel Frauen), die vor Corona häufig unter anzüglichen Kommentaren leiden mussten berichten, dass sich das durch die Maske deutlich gebessert hat, weil es eben eine zusätzliche Distanz herstellt, die eben manchmal auch gewünscht ist.