faktisch getätigte Betriebsvereinbarung durch formal juristisch nicht vorhandenen Betriebsrat

  • Guten Morgen,


    als einfaches Mitglied unseres BR (welches leider nie eine Grundlagenschulung erhalten hat, da Nachrücker) benötigte ich die Hilfe von erfahrenen Personen, da ich diese in meinen Reihen nicht erhalte und wir auch keinen RA für den BR haben den ich zu Rate ziehen.


    Anfragegrund meinerseits ist, dass der noch "amtierende Betriebsrat" (der formal juristisch nicht mehr existiert da die Mindestanzahl von 7 bei der Betriebsgröße auch mit Nachrückern nicht mehr erreicht wird) eine neue Betriebsvereinbarung abschließen will (von der nur wenige Mitarbeiter profitieren, der AG umso mehr). Zudem wurde zu diesem Thema bereits eine BV mit Start 01.10.2021 geschlossen welche eine Laufzeit bis 31.12.2023 hat und nicht gekündigt werden kann. Man hat einen Satz in die zu beschließende BV eingebaut, den ich mit meinem Laienrechtsverständnis für nicht statthaft halte.


    Wie verhält es sich wenn ich das "ganze" platzen lasse da wir nicht beschlussfähig sind gegenüber den Mitarbeitern da wir dann betriebsratslos sind (was wir ja eigentlich auch schon sind)? Haben die aktuellen BV´en weiterhin Gültigkeit? Erleiden die Mitarbeiter dadurch Nachteile wenn "wir aufgelöst sind" bis es einen Neugewählten BR gibt? Der Betriebsratsvorsitzende setzt mich dahin unter Druck das der AG dann mit "uns machen kann" was er wolle. Er stimmt mir zu, dass ich formal juristisch im Recht bin (nur auf der Tonspur, persönlich an mich gerichtet) mit dem was ich sage wir "existieren nicht mehr". Hat sich der Vorsitzende schuldhaft verhalten, dass er mit dem ausscheiden der "letzten Person" (was nicht erst vor kurzem war) nicht unverzüglich Neuwahlen anberaumt hat? Oder greift hier bereits der Punkt des Unterlassens als grober Pflichtverstoß? Darf man vom AG erwarten, dass er weiss, das was er gerade macht juristisch nicht haltbar ist/wäre? Habe ich als einfaches BR-Mitglied ein Anrecht darauf einen Fachanwalt ( trägt der AG dann auch die Kosten) dazu befragen oder Bedarf es dazu eines Beschlusses (wobei Beschluss wenn man nicht existiert, hinfällig ist/ wäre)?


    Habe ich auf was besonderes zu achten oder soll ich besser eine Faust in der Tasche machen und die kommende Wahl abwarten? Liese sich dann die BV rückwirkend für null und nichtig erklären mit dem Verweis da seinerzeit nicht beschlussfähig?


    Erstes Posting meinerseits, hoffentlich ist das nicht allzu schwere Kost.


    Ich freue mich auf zukünftigen regen Austausch hier im Forum.


    Viele Grüße


    Polofahrer

  • Solange ein Arbeitsgericht den Betriebsrat nicht aufgelöst hat, besteht er erst einmal.


    Ja, es ist ein Pflichtverstoß nicht unverzüglich Neuwahlen einzuleiten, aber wo kein Kläger da kein Richter. Aktuell ist ja Wahlzeit, sind denn die Wahlen eingeleitet worden?


    Wenn ihr mindestens 4 aktive BR seid, so seid ihr auch noch beschlussfähig, als Rest-BR sowieso.


    Ich würde eher mit meinen BR-Kollegen versuchen die Betriebsvereinbarung nicht abzuschließen oder eben bessere Konditionen zu erreichen. Vielleicht lassen sich die Verhandlungen ja auch bis zur Neuwahl aussetzen.

  • Hallo Polofahrer,


    wie xyz22 ja schon richtig geschrieben hat, Ihr seid nicht BR-los.

    Gem. § 22 BetrVG führt der BR die Geschäfte weiter, bis ein neuer gewählt ist. Das nicht direkt Neuwahlen eingeleitet wurde ist natürlich klar ein Verstoß, aber das ist erstmal irrelevant. Bei praktisch allen Verstößen im BetrVG handelt es sich um sog. "Antragsdelikte", d.h. es interessiert keinen, solange niemand dagegen vorgeht. Es gibt da nur sehr wenige "Automatismen". Der BR geht nicht automatisch unter, wenn er keine Neuwahlen einleitet. Dazu müsste erst jemand die Auflösung des BR beim Arbeitsgericht beantragen und dies mit dem Nicht-einleiten der Neuwahl begründen. Solange das aber niemand tut, ist der BR gem. § 22 BetrVG einfach der amtierende BR und kann selbstverständlich eine wirksame BV abschließen.

    D.h. es gibt da einfach nix, was Du "platzen" lassen könntest. Nicht mal wenn Du Dich jetzt berufen fühlen würdest wegen diesem Verstoß zum Arbeitsgericht zu gehen, denn bis da was entschieden ist, ist ein neuer BR gewählt und es können ausschließlich Verstöße aus der aktuellen Amtsperiode geahndet werden.

    Vielleicht solltest Du versuchen genau das Deinem BRV zu erklären und das er sich entsprechend nicht vom AG unter Druck setzen lassen muss (bzgl. der BV), weil dass hier:

    Erleiden die Mitarbeiter dadurch Nachteile wenn "wir aufgelöst sind" bis es einen Neugewählten BR gibt? Der Betriebsratsvorsitzende setzt mich dahin unter Druck das der AG dann mit "uns machen kann" was er wolle. Er stimmt mir zu, dass ich formal juristisch im Recht bin (nur auf der Tonspur, persönlich an mich gerichtet) mit dem was ich sage wir "existieren nicht mehr".

    ...ist nichts weiter als eine Drohkulisse. Denn wie gesagt, formal juristisch bist Du hier (zum Glück!) keineswegs im Recht.

    Der BR existiert in verringerter Größe, aber mit gleichen Rechten und Pflichten, weiter bis ein neuer gewählt ist.

    ...und auch wenn der AG auf die Idee kommt zu drohen: "Ich könnte ja auch beim Arbeitsgericht Eure Auflösung beantragen", kann man das getrost belächeln, denn auch für den AG gilt: "bis da was entschieden ist, ist ein neuer BR gewählt und es können ausschließlich Verstöße aus der aktuellen Amtsperiode geahndet werden."

    „Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist“

    Hanlons Rasiermesser

  • Habt ihr jemals bei der Erstellung einer BV einen Anwalt hinzugezogen?


    Wenn ja, ruf ihn doch mal an und frag außerhalb der Gebührenordnung nach ob er mal einen Blick auf die abzuschließende BV werfen könnte und dir dann seine Meinung hierzu geben würde.


    Wenn dass dann entsprechende ausfällt, kannst du immer noch den BR davon in Kenntnis setzen und ihr holt euch über den offiziellen Weg den Rechtsbeistand an Bord.

    Ich würde auf jeden Fall nicht die BV unterschreiben bevor das entsprechend geprüft wurde.

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  • Haben die aktuellen BV´en weiterhin Gültigkeit?

    pauschale Antwort: Ja, da kannste erstmal von ausgehen. (ggf. auch nur weil es noch keine neue gibt und diese solange weiter Anwendung findet)

    evt. gibt es Regelungen in einer BV, das diese nur eine bestimmte Zeit gültig ist oder für einen bestimmten Anlass etc.pp. dafür müßte man diese aber im Detail kennen.

    Liese sich dann die BV rückwirkend für null und nichtig erklären mit dem Verweis da seinerzeit nicht beschlussfähig?

    im Prinzip ja, aber da wir nicht wissen worum es geht :/


    Beispiel: BV-Urlaub. Jetzt haben die MA tlw. schon den Urlaub gem dieser Richtlinie genommen, wie willste das rückgängig machen, wenn die BV nichtig war?

    Der AG hat sehr wahrscheinlich keine rückwirkenden Nachteile zu befürchten, da er gem BV gehandelt hat und der AN steht ggf "dumm" da, weil er schon Urlaub genommen hat gem BV z.B. Betriebsurlaub 15 Tage


    Und da die BV ja rechtens gem BR-Beschluss abgeschlossen werden kann (siehe Kommentare meiner Vorredner, ihr seit beschlussfähig!!) kann es auch sein, dass die BV eine Kündigungsfrist hat und bis zum Abschluss einer Folge-BV weiterhin besteht.

    Und wenn der AG keine neue BV abschließen will, dann endet das irgendwann vor Gericht zur Entscheidung und das kann dauern.


    Also versuche den Abschluss der BV raus zu zögern bis der neue BR im Amt ist, das wäre auch mein Rat.

    Und dann holt euch fachkundige Hilfe beim Anwalt.

    Die Scheu vor der Verantwortung ist eine Krankheit unserer Zeit, denn Macht ohne Verantwortung ist wie ein Feuer außer Kontrolle.


  • Vielen Dank xyz22, Paragraphenreiter, Der Nordfriese und Randolf für die hilfreichen Antworten bzw. Tipps und für den/die Hinweis/e das ich durch mein Laienrechtsverständnis falsche Tatsachen vermutet habe.


    Die BV ist vom AG erstellt worden und nein sie lag bis dato nur zur Lesung bei uns vor. Dann besteht nun Überzeugungsarbeit das WIR dringlichst einen RA benötigen zwecks Unterstützung und dergleichen.

  • Dann besteht nun Überzeugungsarbeit das WIR dringlichst einen RA benötigen zwecks Unterstützung und dergleichen.

    Wenn du mich fragst, besteht die dringendste Überzeugungsarbeit darin, dass ihr nicht zu allem ja und Amen sagen müsst, nur weil der AG das will oder sagt. Ihr müsst streng genommen noch nicht einmal einen Grund haben. Wenn ihr nicht zustimmt, dann ist das einfach so. Dem AG könnt ihr erklären: Wir prüfen noch. Wir müssen erst einmal verstehen, dann schauen wir weiter...



    welches leider nie eine Grundlagenschulung erhalten hat, da Nachrücker

    Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass das nicht nur bei dir der Fall ist... denn dass ein BR nicht untergeht, nur weil er seine ordentliche Größe unterschritten hat, sollte eigentlich Basiswissen sein. ;)

    Wer fragt ist ein Narr - für fünf Minuten. Wer nicht fragt bleibt ein Narr - sein Leben lang!

  • ... und wo steht, dass Nachrücker keine Schulungen bekommen? Bei dem personellen Mangel im BR bist Du doch nicht erst gestern aktiv.

    Wir handhaben das in unserem 11-er Gremium so, dass die ersten beiden Nachrücker auf jeden Fall die Basisseminare besuchen. Bei den anderen schaut man mal: Werden sie öfter eingeladen, dann beschließen wir auch für sie Seminare.

    Das ist so auch rechtlich durchgeprüft.

  • Bei uns nehmen die Nachrücker immer gleich mit an den Grundlagenseminar teil.

    Dass kommt daher, dass wir immer ein Inhouse-Seminar veranstalten und da ist es dann egal, wieviele Teilnehmer da sind.


    Ist etwas hemdsärmelig aber unsere Personalchefin möchte lieber BRM, die vernünftig geschult sind und es dann später nicht immer zu unnötigen Grundsatzdiskussionen kommt.


    Oftmals benötigen wir nicht mal eine Beschluß für diese Seminare sondern das regeln wir in einer BR-Sitzung, wenn die Personalchefin anwesend ist.

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    Aber versuche jeden Tag etwas neues zu benutzen!
    Tu das, was du kannst!

    Aber versuche jeden Tag etwas mehr zu tun!

  • Wenn alles gut geht, nimmt an unserer nächsten Auffrischung sogar die Geschäftsführung und die Perso teil. Wir stellen uns eine Schulung "aktuelle Rechtsprechung" vor mit einer Auffrischung durch das BetrVG. Das holt die neuen Ersatzmitglieder (Trotz größerem Gremium sind fast alle Mitglieder vor 2,5 Jahren komplett geschult worden) erst mal schnell ins Boot, bevor die dann eigene Schulungen bekommen. Wir haben nur vier EBRM und die kommen sicher alle regelmäßig dran. Da sind die Schulungen immer sinnvoll und beschleunigen einige Prozesse.