Hallo zusammen,
ich habe da gerade eine ziemlich verzwickte Situation im Betrieb und würde gerne ein paar Meinungen dazu hören. Ich erwarte definitiv keine abschließende Antwort, da es diese derzeit vermutlich einfach nicht gibt.
Am 01.02.22 hatten wir ein Vorstellungsgespräch mit einem, den Qualifikationen nach, hoch interessanten Bewerber. Im Verlaufe des Gesprächs stellte sich heraus, dass das vorangegangene Arbeitsverhältnis am 31.01.22 (also am Vortag) endete. Da wir einen dringenden Personalbedarf haben und den Bewerber wirklich gut brauchen könnten, wollte man ihn quasi direkt an den Betrieb binden und hat ihm angeboten ihn praktisch ab heute (01.02.22) einzustellen. Ich war bei dem Vorstellungsgespräch anwesend und habe den AG auf die Möglichkeit hingewiesen hier eine vorläufige personelle Maßnahme gem. § 100 BetrVG durchzuführen und der BR dann in der nächsten ordentlichen Sitzung darüber beraten kann. Leider hat entweder er mir, oder HR ihm, nicht richtig zugehört und dem Bewerber wurde ein paar Tage später einfach ein Arbeitsvertrag übergeben, welcher nicht unter den Vorbehalt der Zustimmung des BR gestellt wurde. Also de facto wurde eine Einstellung nach § 99 BetrVG, ohne Zustimmung des BR durchgeführt. (War definitiv kein Vorsatz, sondern Dummbeutelei wegen beschissener Kommunikation).
Aber interessant wird es jetzt erst:
Unsere Branche ist wie ein Dorf, jeder kennt irgendwen aus einem anderen Landkreis und die Azubis aus dem ganzen Bundesland hocken alle zusammen in der gleichen Landesschule. So erreichte uns nur einen Tag später das Gerücht, dass der besagte Bewerber von seinem vorherigen AG wegen sexueller Belästigung gekündigt wurde. Das Gremium, vor allem die Damen, lief Sturm. Parallel kam vom AG die Bitte, dass wir doch dieser Einstellung widersprechen möchten, damit er aus der Nummer wieder raus kommt.
Ich hab ihm dann mitgeteilt, dass es da nix zu widersprechen gibt, er hat eine rechtswidrige Einstellung ohne Zustimmung des BR durchgeführt und entsprechend tragen wir ihm auf, diese personelle Maßnahme aufzuheben. Ich habe ihm auch erklärt, dass es ihn nicht von den vertraglichen Pflichten (die er mit dem Bewerber eingegangen ist) entbindet, dass er ihn nicht beschäftigen darf.
Soweit so gut, im Gremium kehrte wieder Ruhe ein.
Einen weiteren Tag später hatte der Bewerber ein weiters Gespräch mit dem AG und hat sich tatsächlich (für mein Empfinden ehrlich) zu allen im Raum stehenden Gerüchten umfänglich geäußert. Was soll ich sagen, so wie meistens in diesen Fällen waren die jeweiligen Darstellungen nicht wirklich miteinander vereinbar. Der AG allerdings ist (vermutlich vom Personalmangel getrieben) geneigt ihm zu glauben und überlegt, ob er (dann in einem ordentlichen Verfahren) den Bewerber zum 01.03.22 dem BR zur Einstellung vorschlagen will.
Dann hab ich etwas getan, was ich eigentlich nicht tun sollte. Ich habe Kontakt zum BRV des vorherigen Betriebes des Bewerbers aufgenommen (durch meine Tätigkeit in einer branchenspezifischen Fachkommission der Gewerkschaft kenn ich den halt). Ich weiß dass man das nicht tut, aber sexuelle Belästigung ist ein extrem heikles Thema, da sie einerseits nicht ansatzweise toleriert werden kann, aber andererseits auch der haltlose Vorwurf allein schon berufliche Existenzen zerstört hat. Daher wollte ich hier einfach wissen was Sache ist (um niemandem eine Chance zu verwehren, der eine verdient hätte, bzw. um niemandem eine Chance zu geben, die er nicht verdient hätte).
Es hat sich dann herausgestellt, dass die Vorwürfe der sexuellen Belästigung tatsächlich haltlos waren. Der Bewerber war nie übergriffig oder grenzverletzend, er ist schlicht und einfach (wie man früher sagte) ein Stelzbock oder (wie man heute sagt) sehr Promiskuitiv und lebt dieses ungehemmt in seinem beruflichen Umfeld aus.
Dies führte auch in seinen vorherigen Betrieben immer wieder zu massiven Problemen und Störungen des Betriebsfriedens und eben auch zu entsprechenden Vorwürfen der sexuellen Belästigung, immer von Personen die sich in einer monogamen Beziehung mit dem Bewerber wähnten und dann feststellen mussten, dass sie nur eine von vielen waren.
Das ist jetzt mein Problem, der Kerl hat scheinbar nicht verbotenes getan. Sein promiskuitives Verhalten ist nun mal durch das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gedeckt. Das Problem ist, dass viele seiner multiplen Partnerinnen für ihre sexuelle Selbstbestimmung eine monogame Beziehung voraussetzen. Es ist also vorprogrammiert, dass es bei diesem Verhalten zu Verwerfungen kommen muss und auch extreme Reaktionen aufgrund verletzter Gefühle nicht auszuschließen sind.
Also alles Zeug, dass man im Betrieb nicht brauchen kann.
Ich habe nun die Befürchtung, dass mein Gremium das evtl. etwas weniger differenziert sehen könnte (bei einigen war der Bewerber schon allein aufgrund der Gerüchte als persona non grata abgestempelt). Ich bin da selbst noch zu keinem abschließenden Urteil gekommen, einerseits ist durchaus abzusehen, dass der Bewerber (ich sprech es jetzt einfach mal aus) mit seiner unkontrollierten Rumvögelei zum Problem werden wird, aber andererseits tut er nichts verbotenes, was eine Zustimmungsverweigerung rechtssicher rechtfertigen würde.
Wie würdet Ihr reagieren, wenn der AG jetzt tatsächlich diesem Bewerber nochmal zur Einstellung vorlegt (und wie würdet ihr Eure Reaktion begründen)?