BR-Wahl während Insolvenz mit Betriebseinstellung

  • Hallo zusammen,


    ich hab mal wieder einen Spezialfall.


    Unser Unternehmen besteht aus zwei Betriebsteilen, Rohwarenfertigung und Verarbeitung. Bisher hatten wir noch zwei separate 7er-Gremien je Betriebsteil. Geplant war, ca. Mitte März einen gemeinsamen 9er BR für beide Betriebsteile zu wählen. Wahlvorstand wurde bereits bestellt und hat sich konstituiert.


    Bereits seit September befindet sich das Unternehmen in vorläufigem, seit Januar in eröffnetem Insolvenzverfahren. Aufgrund der Gaspreise musste nun per 01.01.2022 leider der Betrieb eingestellt werden und aktuell ca. 200 von 280 MA wurden unwiderruflich freigestellt aber noch nicht gekündigt. Es sind bereits mehrere Interessenten im Spiel, von denen einige das Unternehmen insgesamt, andere jeweils einen Werksteil übernehmen und fortführen wollen. Sollte es zu einer teilweisen oder gesamten Übernahme kommen, wären die wichtigen Verhandlungen voraussichtlich im März/April. Also genau zu der Zeit, ab der wir ohne Neuwahl betriebsratslos wären. Das wäre damit der Supergau, da die Arbeitnehmerbedürfnisse nicht vertreten werden.


    Aus dieser Konstellation ergeben sich nun mehrere Fragen:


    1. Sind die freigestellten aber nicht gekündigten Mitarbeiter wahlberechtigt, oder nur noch die, welche zum Zeitpunkt der Wahl noch weiterbeschäftigt werden?

    2. Sind die freigestellten aber nicht gekündigten Mitarbeiter wählbar, oder nur noch die, welche zum Zeitpunkt der Wahl noch weiterbeschäftigt werden?

    3. Wonach richtet sich die Größe des Gremiums? Nach der Zahl der noch weiterbeschäftigten MA oder nach der Gesamtzahl ungekündigter, also inklusive der Freigestellten?

    4. Da unklar ist, ob das Unternehmen insgesamt oder in zwei Teilen verkauft wird, müssen wir von der IST-Situation ausgehen und einen gemeinsamen BR wählen. Richtig?

    5. Was passiert, wenn sich z. B. im Februar abzeichnet, dass das Unternehmen aufgespalten wird? Sollten wir dann für jeden Betriebsteil separat wählen? Darf der konstituierte Wahlvorstand dann die Wahl für beide Betriebsteile durchführen, oder muss je Betriebsteil ein neuer Wahlvorstand einberufen werden?


    Das ganze ist ein riesen Schlammassel und wir können so oder so nur hoffen, dass es weitergeht. Darum müssen wir die Wahl auch weiterhin vollumfänglich vorbereiten, um für den Fall der Fälle nicht ohne BR dazustehen.


    Kann mir hier irgendjemand verlässliche Infos geben, oder ist die Angelegenheit zu speziell? Vorab schon mal ein dickes Dankeschön für eure Hilfe!

    • Hilfreichste Antwort

    JA ein Riesen Schlamassel


    und daraus folgt .... ohne Rechtsbeistand würde ich das nicht angehen - neverever.


    Also Anwalt besorgen, Gewerkschaft mit ins Boot nehmen oder ähnliches.

    Man wird da bestimmt auch einiges mit dem AG vereinbaren könne, aber ein Anwalt muss Euch erst einmal den gesetzlichen Weg aufzeigen.

    Und das ist so eine Sondersituation die ja nur unter bestimmten Umständen auftaucht, dass ich kaum glaube das hier jemand verlässliche Info's (nur Meinungen) zu geben kann.

  • Murgpirat

    Hat einen Beitrag als hilfreichste Antwort ausgewählt.
  • Deine Einschätzung, dass wir hier professionellen Rechtsbeistand benötigen, teile ich. Da bin ich auch schon dran, sowohl über die Gewerkschaft, als auch über den Berater, den wir wegen den Insolvenzfragen so oder so schon im Boot haben.


    Ich hatte/habe nur die Hoffnung, dass es andere gibt, die einen ähnlichen Fall bereits erlebt haben.


    Aus der Sache ergeben sich ja noch weitere Fragen, z. B. angenommen, wir schreiben die Wahl aus und alle Mitarbeiter kandidieren. Dann besteht hier für die Kandidaten Sonderkündigungsschutz für den Fall, dass der Betrieb übernommen wird. Wie damit umzugehen ist, muss auch geklärt werden. Da kommt einiges an Arbeit auf die verbliebenen BR zu.

  • Aus der Sache ergeben sich ja noch weitere Fragen, z. B. angenommen, wir schreiben die Wahl aus und alle Mitarbeiter kandidieren. Dann besteht hier für die Kandidaten Sonderkündigungsschutz für den Fall, dass der Betrieb übernommen wird. Wie damit umzugehen ist, muss auch geklärt werden. Da kommt einiges an Arbeit auf die verbliebenen BR zu.

    Das würde ich als Betriebsrisiko des Arbeitgebers sehen. Da hat in dem Fall wenn alle kandidieren der Betriebsrat erst mal nichts zu tun. Das wird für den Betriebsrat erst dann ein Thema wenn Kündigungen kommen. Das führt eher beim Arbeitgeber für einen Schock. Wenn sich alle Mitarbeiter auch noch selbst eine Stimme geben bei Personenwahl bzw. ihre Liste wählen wenn es mehr als eine Liste wird dann ......

    Bevor wir einfache oder komplizierte Gesetzen/Verordnungen erlassen sollten wir es vielleicht mit etwas einfachen wie Hochdeutsch versuchen :)

  • Aus der Sache ergeben sich ja noch weitere Fragen, z. B. angenommen, wir schreiben die Wahl aus und alle Mitarbeiter kandidieren. Dann besteht hier für die Kandidaten Sonderkündigungsschutz für den Fall, dass der Betrieb übernommen wird. Wie damit umzugehen ist, muss auch geklärt werden. Da kommt einiges an Arbeit auf die verbliebenen BR zu.

    Das wird der AG gerichtlich anfechten und gewinnen. Die Wahl wird garantiert so nicht stattfinden.

  • Das wird der AG gerichtlich anfechten und gewinnen. Die Wahl wird garantiert so nicht stattfinden.

    Aber erst nach der Wahl und als Wahlbewerber gibt es erst mal einen Kündigungsschutz.

    Bevor wir einfache oder komplizierte Gesetzen/Verordnungen erlassen sollten wir es vielleicht mit etwas einfachen wie Hochdeutsch versuchen :)

  • Das wird der AG gerichtlich anfechten und gewinnen. Die Wahl wird garantiert so nicht stattfinden.

    Bin ich mal wieder nicht auf dem Laufenden? Der letzte Fall, der mir hängengeblieben ist, ist dass das Gericht klar gesagt hat, dass die Kandidatur zum BR regelmäßig keinen Rechtsmissbrauch darstellt und dass der AG damit leben muss, dass nun alle AN Kündigungsschutz genießen. (Blöd in diesem Fall war allerdings, dadurch, dass der AG sich nicht "gesundkündigen" konnte, ist am Ende das ganze Unternehmen den Bach runter - klassischer Pyrrhussieg...)


    Ansonsten sehe ich das aber auch so, dass hier ohne anwaltliche Beratung nix passieren sollte.

    Wer fragt ist ein Narr - für fünf Minuten. Wer nicht fragt bleibt ein Narr - sein Leben lang!

  • Blöd in diesem Fall war allerdings, dadurch, dass der AG sich nicht "gesundkündigen" konnte, ist am Ende das ganze Unternehmen den Bach runter - klassischer Pyrrhussieg...

    sehe ich auch so, was nützt dir Kündigungsschutz wenn keiner mehr da ist den man verklagen kann?

    dann wird eben die Bude ganz dicht gemacht, weil der Insolvenzverwalter kein zukunftsfähiges Konzept vorlegen kann und mögliche Investoren abspringen.

    Die Scheu vor der Verantwortung ist eine Krankheit unserer Zeit, denn Macht ohne Verantwortung ist wie ein Feuer außer Kontrolle.


  • Er wird die Kandidatenliste für ungültig erklären lassen. Und Recht bekommen.

    Das Bezweifele ich ganz stark.


    Aber natürlich ist das dann ein Problem wenn für Abfindungen nichts mehr da ist und "alle" einen Kündigungsschutz haben und man zwecks Überleben Mitarbeiter abbauen muss damit der Fisch einem neuen Eigentümer schmeckt.

    Bevor wir einfache oder komplizierte Gesetzen/Verordnungen erlassen sollten wir es vielleicht mit etwas einfachen wie Hochdeutsch versuchen :)

  • Demokratie lebt nicht nur von Meinungen, sondern auch davon seine Meinung ändern zu können und (noch wichtiger) sachliche und fachliche Tatsachen zu akzeptieren.

    Man kann dann immer noch der Meinung sein, das man die Tatsachen "falsch" findet und dagegen sein, aber wenn man dann die Tatsachen für nichtig erklärt, hat das nichts mehr mit Demokratie zu tun.


    oder wie ich immer sage:

    1+1 bleibt 2, kann man doof finden und der Meinung sein 1+1 ist 3 wäre besser, aber das ändert nichts an der Tatsache das 1+1=2 ist.

    Die Scheu vor der Verantwortung ist eine Krankheit unserer Zeit, denn Macht ohne Verantwortung ist wie ein Feuer außer Kontrolle.


  • Mal ein Update zum Fall:

    Aufgrund der Gaspreise wurde der Betrieb per 01.01.2022 eingestellt. Kam auch in ARD und SWR:
    https://www.swr.de/swraktuell/…-hoher-gaspreise-100.html
    Von den 280 Mitarbeitern wurden 200 unwiderruflich freigestellt, der Rest macht noch die offenen Arbeiten.


    Das Betriebsgelände und die Gebäude sind in einer Immobilien-Gesellschaft ausgelagert, die aber dem gleichen Eigentümer gehörten. Wir hatten 2 strategische Interessenten, die jeweils einen der beiden Betriebsteile wieder aufnehmen und fortführen wollten. Der Eigentümer hat mit denen über den Verkauf verhandelt. Letzte Woche kam dann die Botschaft: Man wurde sich nicht einig, die ganze Immobilien-Firma wurde an eine benachbarte Fabrik und einer unser direkten Wettbewerber verkauft. Der hat natürlich kein Interesse, die Produktion wieder anzufahren. Zeitgleich mit dem Kauf hat er aber seine eigenen Preise erhöht, da unsere Produktionsmenge jetzt vom eh schon viel zu knappen Markt genommen wurde. Allein dadurch wird er im ersten Jahr schon so 30 Millionen einnehmen.

    Wie es jetzt weitergeht, ist unklar. Wir gehen aber alle davon aus, dass der Betriebsteil mit der Erzeugung abgewickelt wird. Der Betriebsteil Verarbeitung hat noch eine minimale Chance, doch noch übernommen zu werden. Aber mein Bauchgefühl sagt leider, dass das nicht passieren wird.


    So, nun zurück zur Fragestellung mit der Betriebsratswahl. Gewählt werden muss spätestens am 08.04.2022. Wie mir unser vom BR beauftragte Insolvenz-Berater mitgeteilt hat, sind auch die Freigestellten voll aktiv und passiv wahlberechtigt. Von den Weiterbeschäftigten weiß man nie, wer aktuell im Betrieb ist und wer im Home Office. Ergo: Das ganze muss auch noch postalisch erfolgen, mindestens für die Freigestellten.


    Das Dumme ist, dass die Wahl genau in die Phase fällt, wo einige sehr wichtigen Entscheidungen getroffen werden. Eine betriebsratslose Zeit können wir uns also nicht erlauben. Das Ganze wird jetzt also ein riesen Spaß.