Erfahrungen mit einem Verfahren gem. § 23 bs. 3 BetrVG

  • Edit: Tippfehler im Titel, es muss natürlich § 23 Abs. 3 BetrVG heissen.


    Hallo zusammen,


    unser AG hat eigenständig Gehaltserhöhungen in prozentual unterschiedlicher Höhe für fast alle Mitarbeiter durchgeführt. Damit ändert er nach unserer Ansicht die betriebliche Lohngestaltung, was gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der Mitbestimmung durch den BR unterliegt. Die Zustimmung des BR zu diesen Gehaltserhöhungen hat der AG nicht eingeholt, er hat uns noch nicht einmal darüber informiert - weder vor noch nach der Durchführung der Gehaltserhöhungen. Wir haben keine Tarifbindung und auch keine BV zur betrieblichen Lohngestaltung o.ä.


    Da unser AG leider nicht zum ersten Mal ein MBR nach § 87 BetrVG missachtet, haben wir ihm für diesen Verstoss gegen unser MBR eine betriebsverfassungrechtliche Abmahnung ausgesprochen und ihn aufgefordert, zukünftig sämtliche Mitbestimungsrechte des BR zu beachten. Als Konsequenz für eine zukünftige Missachtung von MBRs des BR haben wir ihm ein Verfahren gem. § 23 Abs. 3 angekündigt.


    Nun hat uns unser AG schriftlich geantwortet: Er weist die ausgesprochene Abmahnung zurück und behautet, die Gehaltserhöhungen wären nicht mitbestimmungspflichtig und stellen damit keine Veränderung der betrieblichen Lohngestaltung dar. Auch in Bezug auf zwei frühere beispielhaft aufgeführte Verstösse gegen unser MBR gem. § 87 BetrVG führt er aus, dass der BR doch beteiligt gewesen wäre (der AG hat hier ggü. einem BRM mal etwas erwähnt, aber es gab keine konkrete Aussage, wie seinerzeit die Kernarbeitszeit geändert werden sollte und es gibt natürlich auch keinen Beschluss des BR dazu).


    Unser AG ist also hier völlig uneinsichtig, nach unserer Einschätzung ist auch für die Zukunft die Beachtung der Mitbestimmungsrechte des BR nicht zu erwarten. Wir ziehen daher in Betracht, jetzt ein Verfahren gem. § 23 Abs. 3 BetrVG gegen unseren AG einzuleiten. Dazu einige Fragen:


    1. Würdet ihr auch zu dieser Vorgehensweise raten oder gibt es noch andere Möglichkeiten? (Mit dem AG haben wir natürlich schon oft gesprochen und ihm genau erklärt, wie die betriebliche Mitbestimmung konkret funktioniert und auch, wie ein Beschluss des BRs funktioniert und warum er das Ergebniss eines entsprechenden BR-Beschlusses von uns in schriftlicher Form bekommt und dass dieses Schreiben sein Nachweis für die Beachtung des MBR ist - hat alles nicht gefruchtet...)


    2. Hat schon jemand Erfahrungen mit einem Verfahren gem. § 23 Abs. 3 BetrVG?

    Soweit ich herausgefunden habe, wird der Gegenstandswert hierfür mit 5.000,- EUR bemessen und ein Anwalt kann sein Honorar gem. Gebührenordnung auf dieser Basis abrechnen. Eine Vereinbarung mit einem Anwalt nach Stundensatz bedarf wohl der Zustimmung des AG, die uns dieser sicher nicht erteilen wird.

    Ist es bei diesem geringen Gegenstandswert problematisch, einen Anwalt zu finden, der uns in dieser Angelegenheit vertritt?


    Viele Grüße


    BRKlaus

  • bei uns ist dieselbe Situation, mit dem Unterschied dass der AG das im uns abstimmt.


    Das Problem könnte sein, wenn man als BR zuviel "Krawall" macht, dann stellt der AG evt seine Bereitschaft zu Lohnerhöhungen ein und dann steht man als BR "dumm da"


    Ihr müsst abwägen, was im ungünstigsten Fall passieren kann und ob es evt. andere Quellen gibt die euch helfen (allgemeingültige TV z.B.)


    Ist immer ein "zweischneidiges Schwert" ob man das was man bekommen kann nimmt oder "pokert" um mehr zu bekommen.

    Wenn ihr jetzt aufgrund der Mitbestimmung eine Gleichbehandlung der MA durchsetzt wir das bei dem MA sichert erstmal gut ankommen, aber wie reagiert der AG darauf für eine evt Lohnerhöhung im nächsten Jahr.


    Ich meine damit:

    Ihr solltet keine Angst vor dem Konflikt haben, aber euch vorher überlegen ob ihr mit den evt. Konsequenzen umgehen könnt und wie ihr mit negativen Konsequenzen umgehen werdet. Weil der "Kampf" endet dann nicht mit diesem Konflikt.

    Die Scheu vor der Verantwortung ist eine Krankheit unserer Zeit, denn Macht ohne Verantwortung ist wie ein Feuer außer Kontrolle.


  • Danke für deine Antwort.


    Wir haben diese Gehaltserhöhungen bereits zum Anlass genommen, den AG zu Verhandlungen für eine BV zur betrieblichen Lohngestaltung aufzufordern.


    Unser Unternehmen ist stark vom Fachkräftemangel betroffen. Wir verlieren leider sehr regelmäßig Mitarbeiter durch Eigenkündigung. Das Gehalt spielt hierbei auch eine wichtige Rolle, aber es gibt noch viele andere Dinge, mit denen die Mitarbeiter nicht zufrieden waren bzw. sind und die dann in Summe oftmals zu Eigenkündigungen geführt haben. Der Verlust an Fachwissen kann seit Jahren nicht annähernd adäquat kompensiert werden. Ein Aussetzen von zukünftigen Gehaltserhöhungen durch den AG ist somit für diesen keine echte Option…

  • Ein Aussetzen von zukünftigen Gehaltserhöhungen durch den AG ist somit für diesen keine echte Option…

    aber evtl eine schöne Drohung..

    Ihr müsst auf jeden Fall alle Beschäftigten mitnehmen auf die Reise, also vorher Betriebsversammlung und über das Thema aufklären und evtl. auch diskutieren und quasi den "Auftrag" der Beschäftigten einholen

    Nicht die Dinge sind positiv oder negativ, sondern unsere Einstellung macht sie so. (Epiktet, gr. Philosoph)

  • Danke, ein guter Vorschlag.


    Uns geht es in erster Linie gar nicht so sehr darum, hier eine größere Gehaltserhöhungen „rauszuholen“, sondern um Transparenz: Wir wollen zunächst erläutert bekommen, weshalb die einzelnen Gehaltserhöhungen unterschiedliche hoch ausgefallen sind bzw. auf Basis welcher Kriterien hier vorgegangen wurde (sofern es überhaupt objektive Kriterien gibt).


    Zusätzlich geht es uns natürlich auch sehr darum, dass der AG generell die Mitbestimmungsrechte des BR beachtet und nicht einfach nach Gutsherrenart agiert.


    Kann evtl. jemand Tipps geben, der ein Verfahren gem. § 23 Abs. 3 BetrVG schon einmal durch hat?

    Einmal editiert, zuletzt von BRKlaus () aus folgendem Grund: Ein Beitrag von BRKlaus mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Unser AG ist also hier völlig uneinsichtig, nach unserer Einschätzung ist auch für die Zukunft die Beachtung der Mitbestimmungsrechte des BR nicht zu erwarten.

    Dann könnte man zumindest darüber nachdenken hier das ganz große Fass bei einem anderen Thema, welches einem etwas weniger hart auf die Füße fallen könnte, aufzumachen. Ich persönlich würde (wenn ich schon verschiedene Verstöße gegen das MBR zur Auswahl hätte) nicht unbedingt die Gehaltserhöhung nehmen, um sie dem AG um die Ohren zu hauen.

    Aber das müsst Ihr natürlich selbst entscheiden.

    „Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist“

    Hanlons Rasiermesser

  • Kann evtl. jemand Tipps geben, der ein Verfahren gem. § 23 Abs. 3 BetrVG schon einmal durch hat?

    habe ich/wir als Gremium noch nicht gebraucht, aber auf jeden Fall Anwalt beschließen. Gute Anwälte kommen vorbei und besprechen die Situation mit dem Gremium und das meist kostenfrei.

    Nicht die Dinge sind positiv oder negativ, sondern unsere Einstellung macht sie so. (Epiktet, gr. Philosoph)

  • wenn man als BR zuviel "Krawall" macht, dann stellt der AG evt seine Bereitschaft zu Lohnerhöhungen ein und dann steht man als BR "dumm da"

    Das kann passieren. Das ist uns schon passiert. Und natürlich hat der AG sich hingestellt und gesagt "er hätte ja, aber der Betriebsrat..." und die Kollegen waren stinkig. Haben wir bei der nächsten Betriebsversammlung ganz klar erklärt: Nein, der BR hat hier gar nichts. Wir haben lediglich darauf hingewiesen, dass es da Spielregeln einzuhalten gilt. Und der AG hätte dann entschieden, bevor er sich an die Spielregeln hält, gibt er lieber kein Geld aus. Und ja, hätten wir auch doof gefunden, aber die Entscheidung hätte der AG ganz alleine getroffen. Wir hätten das weder gekonnt, noch gewollt.


    Natürlich gab es immer noch Kollegen, die lieber nach Gutsherrenart beglückt worden wäre, aber die Mehrheit hat verstanden, dass wir eigentlich gar nicht anders konnten.



    haben wir ihm für diesen Verstoss gegen unser MBR eine betriebsverfassungrechtliche Abmahnung ausgesprochen und ihn aufgefordert, zukünftig sämtliche Mitbestimungsrechte des BR zu beachten. Als Konsequenz für eine zukünftige Missachtung von MBRs des BR haben wir ihm ein Verfahren gem. § 23 Abs. 3 angekündigt.

    Das klingt doch schon mal nach dem richtigen Schritt. Und wenn der AG sich hier doof stellt, wäre der nächste Schritt noch nicht einmal unbedingt der Weg vor's Arbeitsgericht, sondern dass ihr euch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht sucht, der dem AG noch einmal, juristisch fundiert (und für den AG kostenpflichtig! ;) ) die Sachlage erklärt. Frei nach der Devise: die Sachlage ist eindeutig. Du kannst jetzt erklären, täte dir leid und kommt nicht wieder vor oder wir klären das direkt vor dem Arbeitsgericht. Welches Schweinderl hätten's denn gern?


    Damit macht ihr dem AG klar, dass ihr den Weg vor das Arbeitsgericht nicht scheut, den Anwalt schon am Start habt, aber ihm noch eine Chance gebt, das nicht vollends eskalieren zu lassen.



    Eine Vereinbarung mit einem Anwalt nach Stundensatz bedarf wohl der Zustimmung des AG, die uns dieser sicher nicht erteilen wird.

    Wie kommst du darauf? Die Zustimmung braucht es, wenn ihr den Anwalt als Sachverständigen haben wollt, hier dient er der Durchsetzung eurer Interessen und ist damit "Sachmittel" im Sinne des § 40 BetrVG.


    Und nein, einen Anwalt zu finden ist nicht das Problem. (Einen guten wird schon schwieriger ;) ) Ein guter Anwalt wird den Fall mit euch besprechen und euch dann eine Beschlussvorlage übergeben, die ihr genau so auf die TO setzt und im BR beschließt, damit kann der RA am Ende notfalls seine Forderung vor Gericht selber durchsetzen. (Leider relativer Standard in der Branche...)


    Und wenn du uns verraten magst, in welchem Großraum ihr euch befindet, ich bin sicher es findet sich jemand im Forum, der euch einen Anwalt empfehlen kann.

    Wer fragt ist ein Narr - für fünf Minuten. Wer nicht fragt bleibt ein Narr - sein Leben lang!

  • Ich fände es taktisch sehr unklug, wenn bei etwas positivem für die Belegschaft der 23er gezogen wird.

    Den sollte man sich in der Hinterhand behalten für Themen zu Lasten der Belegschaft.

    Die Abmahnung allerdings finde ich richtig und wichtig. Im Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit wird jeder Richter erkennen, dass ihr in der Vergangenheit versucht habt es gütlich zu regeln und nicht aus einer Mücke einen Elefanten macht ;)


    In eurem Falle würde ich eine außerordentliche Betriebsversammlung einberufen um über die Ungleichbehandlung im Lohngefüge aufzuklären. Der Effekt dafür ist:

    1. Ihr legt euren Laden für die Dauer der Versammlung lahm (kostet den AG Geld)

    2. Einige Kollegen werden sauer auf den AG sein, weil sie unterdurchschnittlich bedacht wurden

    3. Eure Wähler sehen, dass ihr die Gerechtigkeit im Betrieb lebt

    4. Der AG könnte erkennen, dass ihr das Spiel über Bande nicht mitspielt und es ihn immer etwas kostet (mindestens den Produktionsausfall), wenn er euch nicht einbindet.

  • Ich fände es taktisch sehr unklug, wenn bei etwas positivem für die Belegschaft der 23er gezogen wird.

    Auch wenn ich im Grundsatz wohl verstehe, was du meinst - am Ende ist halt die Frage: überwiegt eine Gehaltsanpassung (grundsätzlich positiv, klar) die Ungleichbehandlung durch den AG. Und insofern: ja, es ist und bleibt am Ende eine taktische Entscheidung. Unbedingt!

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  • Spielen wir das doch bis zum Ende durch:

    Angenommen, ich ziehe den 23er und gewinne vor Gericht. Und der AG muss das rückgängig machen.

    Auf wen werden die Kollegen sauer sein, wenn ihre Lohnerhöhung doch nicht kommt oder wieder weggenommen wird?


    Aber die Mannschaft aufklären halte ich für wichtig.

  • Und der AG muss das rückgängig machen.

    Wie kommst Du denn darauf? In dem einen Fall, den ich persönlich kenne, wo der BR das vor Gericht durchgezogen hat, war das Ergebnis, dass der AG rückwirkend alle AN gleichbehandeln musste. War ein teures Vergnügen für den AG.


    Der BR fordert ja nicht, dass der AG kein Geld ausschüttet, er fordert bei der Verteilung im Boot zu sein. Und wenn der AG die AN erst einmal voller Stolz darüber informiert hat, dass er ihr Gehalt angepasst hat, führt auch kein Weg mehr zurück.

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  • Angenommen, ich ziehe den 23er und gewinne vor Gericht. Und der AG muss das rückgängig machen.

    Das wird nicht passieren. Soweit ich weiß ist es bei Gehaltserhöhungen so, dass dann alle Mitarbeiter auf die höchste Lohnerhöhung anspruch haben.


    Ansonsten stimme ich Moritz voll und ganz zu in seinen Ausführungen, schöner hätte ich es nicht sagen können.


    Zum Thema "gute Anwälte": Die telefonieren nicht nur vorab mit dir, sondern kommen auch mit in die BR-Sitzung und erklären dem BR, was genau jetzt vorgeht und auf was zu achten ist. unser Anwalt hat sogar noch mit dem BRV geklärt, ob der Beschluss zu seiner Beauftragung wasserdicht ist und ob richtig geladen bzw. nachgeladen wurde.


    Noch ein Wort dazu, ob es taktisch klug ist: Die Wahrscheinlichkeit, dass der Arbeitgeber künftig grundsätzlich sagt, dass es keine Gehaltserhöhungen gibt, ist relativ gering. Erst einmal muss der Arbeitgeber nur mit euch über die Verteilung des Topfes verhandeln. Bei dieser Verhandlung hat er dann das Pfund in der Hand zu sagen: "Ok, ihr wollt eine andere Verteilung, als ich sie mir vorstelle? Gut, dann nehmen wir eben euren Vorschlag. Ich setze den Topf auf "0", das könnt ihr dann verteilen." Aber die reine Verhandlung kostet ihn erst einmal garnichts. Und man muss auch bedenken, dass er ja ein Facharbeiterproblem hat. Dass heißt, irgendwie muss er die künftigen MA in den Betrieb locken und die bestehenden MA im Betrieb halten. Also ist es doch auch in seinem Interesse, die Löhne zu erhöhen.


    LG

    Markus


    Edith schimpft, dass ich mal wieder zu langsam tippe. Moritz war mal wieder schneller.

    "Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wenn alle unzufrieden sind" Aristide Briand

    Einmal editiert, zuletzt von Markus 1973 ED ()