Krankschreibung am gleichen Tag nach 2 Stunden Arbeit, was passiert mit den Stunden

  • Hallo zusammen,


    ich habe gerade einen Fall, dass eine Mitarbeiterin frühs auf Arbeit gekommen ist und 2 Stunden später zum Arzt gegangen ist. Dort wurde sie für die ganze Woche krankgeschrieben, diesen Tag inklusive. Ich weiß, dass normalerweise die Krankschreibung erst ab nächsten Tag erfolgt und der angefangene Tag als voll gearbeitet zählt. Was machen wir jetzt mit diesen zwei gearbeiteten Stunden? Sollen wir sie dem Zeitkonto gutschreiben?

    Vielen Dank im Voraus.

    Tanja

  • Der angefangene Arbeitstag zählt, als wenn die Kollegin den ganzen Tag gearbeitet hätte, unabhängig davon, ob sie am Anfang oder Ende des Arbeitstages krank wird. Da werden weder Plus- noch Minusstunden aufgebaut.

    Ab dem nächsten Tag beginnt dann die Lohnfortzahlung.

    Für einen Betriebsrat gilt: Lobt dich der Gegner, ist das bedenklich. Schimpft er, dann bist du in der Regel auf dem richtigen Weg. (August Bebel)

  • Der erste angefangene Arbeitstag gilt als voll gearbeitet und wird auch so bezahlt § 611 BGB. Ab dem nächsten Tag Entgeltfortzahlung wegen Krankheit § 3 Abs.1 EFZG.

    LAG Köln (4 Sa 290/17 vom 12.01.2018)

    BAG, Urteil vom 4. Mai 1971, 1 AZR 305/70 sowie BAG, Urteil vom 26. Februar 2003, 5 AZR 112/02

  • Hallo Homer,

    sehe du bist online. Könntest du mir bitte erklären wo du in §611 BGB findest das der erste Tag voll bezahlt wird?

    Bei uns läuft das nämlich so. Fahre nach 2 Std. zum Arzt und werde AU geschrieben. In der Abrechnung bekomme ich 2 Std. bezahlt und bin die restlichen 6 Std. krank. Müsste es, und so habe ich das jetzt verstanden, so sein das ich den ersten Tag nicht krank war und die 8 Std bezahlt bekommen?

  • Meins Wissens nach hat das das BAG in einem Urteil 2003 entschieden, das ein AN der während eines Arbeitstages erkrankt, Vergütung für den gesamten Arbeitstag gemäß § 611 BGB erhält. Auch ein aktuelles Urteil des LAG Köln / 4 Sa 290/17 vom 12.01. bestätigt diese Rechtsauffassung. Danach beginnt die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall erst am darauffolgendem Tag. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bzw. der darin vermerkte Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit muss getrennt gesehen werden von der Bezahlung. Wenn die Arbeit begonnen wurde und dann gesundheitlich bedingt abgebrochen wurde muss eben nach derzeitiger Rechtsauffassung der ganze Arbeitstag wie gearbeitet bezahlt werden und gilt dann auch nicht als Krank. Das hat meist keine großen Auswirkungen, kann aber im Einzelfall wie Fristenüberschreitungen wenn es auf den Tag ankommt wichtig sein.

  • @ELBARADO

    Ein Arbeitnehmer, der während eines Arbeitstages erkrankt, erhält für den gesamten Arbeitstag die Vergütung gemäß § 611 BGB und keine Entgeltfortzahlung gemäß § 3 Abs. 1 EFZG (BAG, Urteil vom 26.02.2003 – 5 AZHR 112/02 –).


    (Seit 2010 können sich die AG das fortgezahlte Arbeitsentgelt für die ausgefallenen Stunden bei einem abgebrochenen Arbeitstag auch nicht mehr über das Umlageverfahren U1 bei der zuständigen Krankenkasse (Umlagekasse) erstatten lassen.)

    „Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist“

    Hanlons Rasiermesser

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  • Danke dir,


    Habe mir das Urteil durchgelesen und denke das es das hier gut trifft       



    Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erhält der Arbeitnehmer, der im Laufe der Arbeitsschicht erkrankt, für den angebrochenen Arbeitstag insgesamt die volle Vergütung, auch wenn der angebrochene Arbeitstag bei der Berechnung des Sechswochenzeitraumes nicht mit eingerechnet wird. Diese Handhabung sei ein Gebot der Praktikabilität und entspreche der seit „eh und je“ bestehenden betrieblichen Praxis (grundlegend BAG, Urteil vom 04.05.1971 – 1 AZR 305/70 –, zu 2b), juris; BAG, Urteil vom 26.02.2003 – 5 AZR 112/02 –, zu II.), juris). Darlegungs- und beweisbelastet für krankheitsbedingte Verhinderung an der Dienstleistung ist der Arbeitnehmer (BAG, Urteil vom 26.02.2003 – 5 AZR 112/02 –, zu II.), juris)

  • wo du in §611 BGB findest das der erste Tag voll bezahlt wird?

    Die Frage habe ich mir tatsächlich auch gestellt. Bin dann aber zu folgendem Ergebnis gekommen:


    (1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. (Hervorhebung durch den Zitierenden)

    Klassische Rechtssystematik: Aus einem Vertrag entstehen Recht und Pflichten. Und nur weil der eine seine Pflichten nicht erfüllt (erfüllen kann), gehen nicht automatisch die Rechte unter. (Der Jurist spricht hier von "Störung des Vertrages".)


    Sprich, der AG ist zur (bzw. hat sich zur) Zahlung des Vergütung verpflichtet. Und erst am Folgetag greifen dann EntgFG usw.

    (Ist aber auch in meinen Augen wieder so ein Fall, wo man sich erst einmal fragt, was soll das?)


    Die Frage, ob der erste Tag als krank gilt oder nicht, ist im "Alltagbetrieb" tatsächlich völlig irrelevant. Wichtig ist nur, dass das hier

    Was machen wir jetzt mit diesen zwei gearbeiteten Stunden? Sollen wir sie dem Zeitkonto gutschreiben?

    definitiv nicht stattfindet. Der Tag gilt einfach als gearbeitet. Punkt. (Sprich ein evtl. Zeitkonto verändert sich dadurch in keinster Weise.)


    Interessant wird dieser eine Tag tatsächlich erst im Zusammenhang mit der Lohnfortzahlung durch die Krankenkasse, weil die den ersten Tag, wenn an ihm gearbeitet wurde, nicht mitzählen. D.h. in dem Fall verschiebt sich die 6-Wochenfrist um einen Tag nach hinten.

    Wer fragt ist ein Narr - für fünf Minuten. Wer nicht fragt bleibt ein Narr - sein Leben lang!

  • Hallo,

    so wie ich das verstehe ja.


    Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erhält der Arbeitnehmer, der im Laufe der Arbeitsschicht erkrankt, für den angebrochenen Arbeitstag insgesamt die volle Vergütung, auch wenn der angebrochene Arbeitstag bei der Berechnung des Sechswochenzeitraumes nicht mit eingerechnet wird. Diese Handhabung sei ein Gebot der Praktikabilität und entspreche der seit „eh und je“ bestehenden betrieblichen Praxis (grundlegend BAG, Urteil vom 04.05.1971 – 1 AZR 305/70 –, zu 2b), juris; BAG, Urteil vom 26.02.2003 – 5 AZR 112/02 –, zu II.), juris). Darlegungs- und beweisbelastet für krankheitsbedingte Verhinderung an der Dienstleistung ist der Arbeitnehmer (BAG, Urteil vom 26.02.2003 – 5 AZR 112/02 –, zu II.), juris)

    oder steh ich wieder aufm Schlauch?

  • Ist das eigentlich auch so wenn sich der AN für den angefangenen Tag eine AU holt?

    Habe jetzt mal kurz die "Lohntante meines Vertrauens" interviewt: Sobald für den AG absehbar ist, dass die AU die 6 Wochen (genaugenommen 42 Tage) überschreiten wird, muss der AG den Ausfall an die Krankenkasse melden. Und bei dieser Meldung muss der AG angeben, ob der AN am ersten Tag der AU noch gearbeitet hat oder nicht.

    Hintergrund ist hier genau der o.g. Tatbestand, dass mit Aufnahme der Arbeit an dem Tag, der AG zur Zahlung der Vergütung verpflichtet ist und die Krankenkasse nicht eintritt.

    Insofern also ja, das gilt grundsätzlich.

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  • oder steh ich wieder aufm Schlauch?

    Nein, im Prinzip nicht. Formal funktioniert das aber eigentlich nur wenn der MA noch am selben Tag einen Arzt aufsucht und sich krank schreiben lässt.

    Es gibt nämlich eine sog. "Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 7 SGB V", welch in § 5 Abs. 3 besagt: "Die Arbeitsunfähigkeit soll für eine vor der ersten ärztlichen Inanspruchnahme liegende Zeit grundsätzlich nicht bescheinigt werden."
    Aber auch hier gibt es Ausnahmen und sie meisten Hausärzte sehen das eh nicht so eng. (ist ja nur ne Richtlinie)

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  • Ist das eigentlich auch so wenn sich der AN für den angefangenen Tag eine AU holt?

    muss der AN ja machen, sonst wäre er am Ende des Arztbesuches arbeitsfähig und müsste wieder zur Arbeit, wenn die Schicht noch läuft.


    Beispiel:

    Arbeit beginnt um 08:00 Uhr, um 09:00 Uhr meldet sich der AN ab, weil er zum Arzt muss.

    um 11:00 Uhr ist der beim Arzt durch und hat keinen "Krankschreibung" für diesen Tag, was dann?


    er ist arbeitsfähig und muss wieder beim AG zur Schicht antreten bis Schichtende.


    das wird aber ja durch die Rechtsprechung zur Bezahlung beziehweise zur Berechnung wann der erste Krankentag ist nicht beeinträchtig (so wie ich das verstehe)

    Die Scheu vor der Verantwortung ist eine Krankheit unserer Zeit, denn Macht ohne Verantwortung ist wie ein Feuer außer Kontrolle.


  • Per Gesetz wird die Krankschreibung ab dem ersten Tag nicht gefordert §5 Abs.1 EFZG. Der Arbeitgeber kann in besonderen fällen die AU ab dem ersten Tag verlangen. Das das in den Unternehmen so nicht, wie auch bei uns, gelebt wird ist das eine. Die Gesetzliche Regelung das andere. Muss man nur im Konkreten Fall durchsetzen bis hin zur Androhung rechtlicher Schritte und darüber hinaus.

  • wo wäre der Unterschied?


    wenn ich mich die ersten 3 Tage nur Krankmelden muss und keine AU benötige, dann müsste der AN sich nach dem Arztbesuch "krankmelden", was dieselben Auswirkungen hat wie eine AU.


    Selbst wenn die AU erst am 4 Tag erfolgt und die ersten 3 Tage ich nur krankgemeldet bin, fängt doch die Rechung für die Entgeltfortzahlung am ersten Tag an, an dem ich gar nicht arbeite.


    Wobei die Frage wäre: zählt der "angefangene AT" mit in die 3-Tage-Regelung rein oder nicht?

    wenn nicht bräuchte ich erst am 5. Tag eine AU.

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  • um 11:00 Uhr ist der beim Arzt durch und hat keinen "Krankschreibung" für diesen Tag, was dann?


    er ist arbeitsfähig und muss wieder beim AG zur Schicht antreten bis Schichtende.

    Die Darstellung ist mir doch zu pauschal. Es gibt ja auch noch die Möglichkeit, dass der AN sich ohne AU krank meldet, z.B. weil klar ist, dass mit (den vom Arzt verschriebenen) Medikamenten das Thema in einem Tag durch ist.


    Deswegen: Müssen sehe ich hier nicht. Ist aber wieder pinselig, ich weiß... ;)


    "krankmelden", was dieselben Auswirkungen hat wie eine AU

    Wie kommst Du denn darauf? Für einen einzelnen Tag mag die Sichtweise (halbwegs) passen. Aber de jure ist das ein riesen Unterschied! Für die Krankenkasse zählt nur eine AU vom Arzt!

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    Einmal editiert, zuletzt von Moritz () aus folgendem Grund: Ein Beitrag von Moritz mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Die Darstellung ist mir doch zu pauschal.

    ja?

    ein MA meldet sich zum Arzt ab, geht zum Arzt und hat dann keine AU in der Hand und meldet sich aber trotzdem als "Krank" beim AG ab.

    Wer ohne AU beim Arzt rausgeht ist ja offensichtlich aus Sicht des Arztes arbeitsfähig, würde ich mal annehmen.


    Mit der Nummer wäre ich vorsichtig, das wird sicher vom AG angezweifelt.


    es sei den dem Arzt sind gerade die "gelben Scheine" ausgegangen ;)

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    2 Mal editiert, zuletzt von Randolf ()

  • Wer ohne AU beim Arzt rausgeht ist ja offensichtlich aus Sicht des Arztes arbeitsfähig, würde ich mal annehmen.

    Das anzunehmen steht dir frei, ohne Frage. Aber nur weil Arzt und AN die "Verwaltungsaufwand" scheuen, eine AU für einen oder zwei Tage zu erstellen (vor allem, weil ich früher ja auch noch die AU selber an die Krankenkasse weiterleiten musste), hebelt das ja nicht aus, dass der AN hier auch selber eine Entscheidung treffen darf.


    Seien wir realistisch: wenn es mir als AN so schlecht geht, dass ich meine nicht arbeiten zu können, dann gehe ich gar nicht erst ins Büro (egal ob ich im Laufe des Tages noch zum Arzt gehe oder nicht). Wenn es mir im Laufe des Tages immer schlechter geht, so dass ich zum Arzt gehe, werde ich mir wohl im Zweifel auch eine AU holen.


    Dass das im realen Leben so läuft, darüber brauchen wir uns gar nicht zu streiten. Du stellst es aber so dar, als ginge es gar nicht anders - und das ist schlicht falsch. Es mag unüblich sein und seine Tücken haben, aber es geht.

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