Freistellung SBV-Vertreter

  • Hallo zusammen,

    ich stehe kurz vor der Wahl zum stellvertretenden Vertrauensmann. Da nur zwei Bewerber für zwei Stellvertreterstellen eingegangen sind, erkundige ich mich jetzt schon, bevor ich offiziell gewählt wurde. ;)

    Ich bin in einem großen Betrieb mit über 400 Schwerbehinderten beschäftigt; der Vertrauensmann ist komplett freigestellt und mich interessiert, inwieweit der Stellvertreter freigestellt wird. Der aktuelle Vertrauensmann hatte bislang kein Glück mit seinen Stellvertretern, die haben sich nicht sonderlich eingebracht und daher konnte er nichts Konkretes dazu sagen. Er schätzte so auf 50 % Freistellung.
    Da der Vertrauensmann innerhalb der nächsten Jahre seine Stelle aufgeben und in den Ruhestand gehen wird, möchte er nun einen Nachfolger aufbauen und diesen intensiv einarbeiten.

    Hat jemand Erfahrungen dazu, wieviel Prozent meiner Arbeitszeit ich mit der SBV-Arbeit verbringen kann? Gibt es hier Grundsätze oder ist das jeweils vom tatsächlichen Arbeitsaufkommen abhängig?

    Ganz lieben Dank für jeden Input!

    Daniel

  • Hallo Daniel,

    ich weiß, dass es hier Meinungen gibt, dass pro 200 schwerbehinderten oder deren gleichgestellter Menschen je eine Freistellung zu gewähren ist. Leider kenn ich da keine Kommentierung dazu, da wir mit 20 Schwerbehinderten und Gleichgestellten nicht in die Verlegenheit kommen über so etwas nachzudenken.

    Ich kann das aber nicht ganz glauben, da beim Betriebsrat die Anzahl der Freigestellten ja auch nicht proportional steigt. Allerdings kann der Stellvertreter bei dieser Anzahl von Klienten auf alle Fälle für erforderliche SBV-Arbeit herangezogen werden. Wenn die amtierende SBV sagt, dass sie dich einarbeiten und als Nachfolger aufbauen möchte, würde ich dies als erforderliche Tätigkeiten ansehen.

    LG

    Markus

    "Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wenn alle unzufrieden sind" Aristide Briand

  • Hallo,

    zuerst einmal muß die gewählte Vertrauensperson gem. § 178 Abs. 1 Satz 3 SGB IXhttp://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/__178.html

    die ständige Betrauung von Stellvertretern mit Aufgaben ggü. dem AG benennen. Bei 400 "Klienten" war die Wahl von nur zwei Stellvertretern optimistisch, vor allem wenn das Ausscheiden der VP absehbar war. In jedem Fall ist aber bei einer derartigen Anzahl auch die ständige Heranziehung von zwei Stellvertretern nicht nur gesetzlich gerechtfertit, sondern auch notwendig.

    Zur Freistellung von Stellvertretern gibt es seit der Neufassung der Schwellenwerte noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung. In der Literatur (Düwell in LPK-SGB IX, § 179 Rn 37) wird aber sehr wohl die Ansicht vertreten, daß bei mehr als 200 sb AN durchaus eine volle Freistellung auch des ersten Stellvertreters gerechtfertigt ist.

    Aus meiner Erfahrung heraus bei ca. 280 sb AN ergibt sich auch für den zweiten "Stelli" eine faktische Vollfreistellung, wenn man als SBV insbesondere in der Beratung und Antragsbegleitung professionell arbeitet.

  • Ja wow, ich danke für die schnellen und profunden Antworten!

    Da der aktuelle Vertrauensmann sich als Ziel gesetzt hat, bis zu seinem Ausscheiden noch eine Inklusionsvereinbarung zu implementieren und deshalb auch konkret mich gefragt hat, ob ich Interesse an der Arbeit hätte (er benötigt juristische Unterstützung, womit ich dienen kann), gehe ich davon aus, dass eine Menge Arbeit auf uns zukommen wird.

    Insoweit ist es gut zu wissen, dass sogar eine Vollfreistellung nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist.
    Wollen wir mal sehen, wie sich's entwickelt und wie der AG reagiert.

    Also, nochmal herzlichen Dank für die Hilfe!

  • Zitat von whoepfner

    Zur Freistellung von Stellvertretern gibt es seit der Neufassung der Schwellenwerte noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung. In der Literatur (Düwell in LPK-SGB IX, § 179 Rn 37) wird aber sehr wohl die Ansicht vertreten, daß bei mehr als 200 sb AN durchaus eine volle Freistellung auch des ersten Stellvertreters gerechtfertigt ist.

    Wie gesagt, ich habe eigentlich mit der SBV-Arbeit nicht sonderlich viel am Hut, daher darf man meine Meinung auch durchaus als Laienhaft ansehen und ich habe auch keine Kommentierung zur SBV-Arbeit.

    Auch wenn es Einzelfälle, wie hier, gibt, wo ich durchaus zustimme, dass der Stellvertreter freigestellt werden muss, bin ich aber auch der Meinung, dass der Gesetzestext selbst nur von einem "heranziehen des Stellvertreters für erforderliche Arbeit" ausgeht und nicht von einer generellen Freistellung. Das die Kommentierung dazu etwas anderes sagt, bringt mich erstmal nicht von dieser persönlichen Meinung ab.

    "Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wenn alle unzufrieden sind" Aristide Briand

  • Hallo,

    selbst wenn es keine Vollfreistellung aufgrund gesetzlichem Automatismus gibt, kann es natürlich auch aufgrund faktischem Arbeitanfall eine zumindest vorübergehende faktische Vollfreistellung geben.

    Und die "Federführung" für die Erarbeitung und Verhandlung einer Inklusionsverainbarung wäre natürlich eine Aufgabenzuweisung für einen Stellvertreter iSd § 178 Abs. 1 Satz 4 oder 5 SGB IX.

  • Hallo markus,

    Du kannst natürlich "beharren", wie Du willst, aber das hat dann weder mit der seit langem gefestigten Kommentierung und auch nicht der betrieblichen Praxis in größeren Unternehmen zu tun.

    Bereits in der alten Rechtslage war es unumstritten, daß bei entsprechendem Arbeitsanfall auch hinzugezogene und mit Aufgaben betraute Stellvertreter grundsätzlich denselben Freistellungsanspruch bis hin zur Vollfreistellung haben wie die VP.

    So zB auch der frühere Standardkommentar NPM -Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen-, Pahlen, § 96 Rn 11 (12. Aufl. 2010)

    Im Übrigen gibt es auch kein Urteil, daß diesen Freistellungsanspruch der Stellvertreter in Frage stellt.

  • Hallo Wolfgang,

    Zitat von whoepfner

    selbst wenn es keine Vollfreistellung aufgrund gesetzlichem Automatismus gibt, kann es natürlich auch aufgrund faktischem Arbeitanfall eine zumindest vorübergehende faktische Vollfreistellung geben.

    nichts anderes habe ich gesagt.

    Zitat von Markus 1973 ED

    Allerdings kann der Stellvertreter bei dieser Anzahl von Klienten auf alle Fälle für erforderliche SBV-Arbeit herangezogen werden. Wenn die amtierende SBV sagt, dass sie dich einarbeiten und als Nachfolger aufbauen möchte, würde ich dies als erforderliche Tätigkeiten ansehen.

    Das es in größeren Betrieben auch so gehandhabt wird, sagt aber auch nicht aus, ob es der Rechtssprechung bzw. der Gesetzesgrundlage entspricht. Es gibt auch große Betriebe, bei denen alle Betriebsräte und ein Teil der Vertrauensleute grundsätzlich freigestellt sind.

    Ich wollte damit ja auch nur sagen, dass es durchaus sein kann, dass das BSG irgendwann ein Urteil spricht, dass nicht pro 200 Schwerbehinderten und deren Gleichgestellte eine Grundsätzliche Freistellung (losgelöst vom Arbeitsanfall) zu gewähren ist.

    Letztendlich wird sich das aber erst sagen lassen, wenn irgend ein Betrieb oder eine SBV den Rechtsweg gegangen ist, was wahrscheinlich nicht so schnell passieren wird, da Betriebe mit 400 und mehr Schwerbehinderten das Thema Freistellung sowieso etwas lockerer sehen.

    Edit sagt: Hups falschen Text zitiert. Hier habe ich nichts anderes behauptet:

    Zitat von Markus 1973 ED

    Auch wenn es Einzelfälle, wie hier, gibt, wo ich durchaus zustimme, dass der Stellvertreter freigestellt werden muss

    "Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wenn alle unzufrieden sind" Aristide Briand

  • festzustellen ist, dass dem neuen SGB Ix ist die Volle freistellung der SBV bereits ab 100 Schwerbehinderte möglich (die Zahl wurde von 200 auf 100 reduziert)

    §179 Abs. 4 Satz 2.

    Die Freistellung der Stellv. ist jedoch weiterhin nicht geregelt, jedoch hat sich das Gesetz auch hier ein Stück weit der Situation angepasst und läßt weitere freistellungen zu, wenn diese denn auch mit dem AG vereinbart werden.

    ich emfehle hierzu den neuesten Kommentar zum Gesetz.

    Umabhängig davon muss man sich anschauen, wie hoch der Arbeitsaufwand ist, den man hat und inwieweit du bei über 400 SB-Beschäftigten von deiner SBV Aufgaben zur Erledigung übertragen bekommst (§178 Abs 1 Satz 4-6). Da du dich zur Erledigung dieser Aufgaben problemlos freistellen kannst ist somit auch mehr als 50% möglich.

    Ich würde wenn ich gewählt bin zusammen mit der SBV und der anderen Stellv. person mich zusammen setzen und ein Konzept erarbeiten, wie ihr drei euch die zukünfitge Arbeit vorstellt. Wer ist wofür zuständig, wie findet die "Vertreterregelung" innerhalb dieser Zuständigkeiten statt, wann finden gemeinsame Treffen statt um alle auf den gleichen Stand zu bringen, damit die vertreterregelungen auch greifen können.

    Dann würde ich mit diesem Konzept auf den Inklusionsbeauftragten und meinen Arbeitgeber zugehen und Ihn davon überzeugen, dass hier ein schlüssiges Konzept vorliegt und Ihn Bitten uns hierin zu unterstützen.

    Die Erfahrung die ich früher gemacht habe war: Wenn das Konzept schlüssig ist, fest steht das die Arbeit auch getan werden muss und die angesetzten Zeitaufwendungen nicht "übertrieben" aussehen stimmt der AG diesem Konzept zu.

    Dann wird das mit den erforderlichen Freistellungen ganz einfach, weil diese nicht mehr hinterfragt werden, da das Konzept dem AG ja bekannt ist.

    gruß

    Rabauke

  • Hallo Markus,

    vielleicht erklärst du mir mal bei Gelegenheit, was bezüglich der Rechte der SBV ausgerechnet das BSG

    Zitat von Markus 1973 ED

    dass das BSG irgendwann ein Urteil spricht, dass nicht pro 200 Schwerbehinderten und deren Gleichgestellte eine Grundsätzliche Freistellung (losgelöst vom Arbeitsanfall) zu gewähren ist

    zu melden hat :?:

  • Zitat von Markus 1973 ED:

    Ich wollte damit ja auch nur sagen, dass es durchaus sein kann, dass das BSG irgendwann ein Urteil spricht, dass nicht pro 200 Schwerbehinderten und deren Gleichgestellte eine Grundsätzliche Freistellung (losgelöst vom Arbeitsanfall) zu gewähren ist.

    Hallo Markus,

    das BSG wird die Einhaltung des SGB IX auch zukünftig sicherstellen. Solange sich das Gesetz nicht ändert ist die volle Freistellung nun ab 100 gegeben wenn die SBV dieses wünscht § 179 Abs 4 satz 2.

    Ich mag dich ja aber das SGB IX ist nicht deins ;).

    Es gibt sogar mitlerweile eine neue Kommentierung die die neuen Gesetzesänderungen schon betrachtet bei B U N D verlag. Wenn du den ISBN benötigst einfach melden.

    Gruß

    rabauke

  • Zitat von whoepfner:

    Hallo Markus,

    vielleicht erklärst du mir mal bei Gelegenheit, was bezüglich der Rechte der SBV ausgerechnet das BSG

    zu melden hat :?:

    hallo Whoepfner,

    ich bin nun nicht mehr SBV aber wenn es um die Einhaltung des SGB geht wäre auch ich zum Sozialgericht gegangen bis hin zum Bundessozialgericht. Ist das falsch, ist in diesen Fällen das Arbeitsgericht und somit das Bundesarbeitsgericht zuständig weil es um meine Arbeit geht und nicht um die Ausführungen meines Ehrenamtes nach dem SGB IX.

    Wobei, ich denke sowas vor Jahrzehnten in einer Schulung schonmal gehört zu haben....obwohl es das SGB IX betrifft liegt in diesem Fall die Zuständigkeit beim Arbeitsgericht....

    ich wünsche dir ein schönes WE und Markus natürlich auch

    Rabauke

  • Hallo Rabauke,

    Für die Rechte der SBV als Organ war und ist die Arbeitsgerichtsbarkeit und somit letztinstanzlich das BAG zuständig gem. § 1 Abs. 3a ArbGG:

    https://www.gesetze-im-internet.de/arbgg/__2a.html

    Dies gilt lt. BAG v. 30.3.2010 - 7 AZB 32/09 auch für § 179 Abs. 8 und 9 SGB IX, obwohl sie im ArbGG nicht ausdrücklich erwähnt sind. Hier sprechen Gerichte und kommentierung von einer - auch durch das BTHG - fortgesetzten "Regelungslücke" des Gesetzgebers

    Und die individuellen, nicht-"organschaftlichen" Rechte der Vertrauensperson(en) wie zB auf Freistellung sind sowieso schon immer Sache der Arbeitsgerichtsbarkeit (BetrVG) bzw. Verwaltungsgerichtsbarkeit (PVGen Bund/Länder) gewesen.

  • Hallo Wolfgang,

    ich hätte jetzt vermutet, da die SBV-Arbeit im SGB geregelt ist, wird wohl auch das SG in seinen Instanzen zuständig sein. Aber wie der Rabauke schon treffend festgestellt hat und auch ich kein Geheimnis draus mache, ist das SGB mit Sicherheit nicht mein Lieblingsgesetz.

    Deshalb, Asche auf mein Haupt.

    LG

    Markus

    "Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wenn alle unzufrieden sind" Aristide Briand

  • Hallo zusammen,

    in der letzten Woche fand bei uns die Wahl statt und ich wurde zum 1. Stellvertreter gewählt. Daher hole ich diesen Thread nochmal nach oben, denn ich benötige abermals eure Hilfe.

    Ich hatte schon erwähnt, dass in unserem Betrieb knapp 400 Schwerbehinderte Mitarbeiter beschäftigt sind und der aktuelle Vertrauensmann in der jetzigen Wahlperiode mich als Nachfolger aufbauen möchte; danach geht er in den Ruhestand.

    Mein neuer "Chef" möchte sich nun mit unserer Personalleitung um meine komplette Freistellung kümmern, bat mich aber darum, ihm "Futter" für eine Begründung zu liefern. Er selbst hatte in den vielen vergangenen Jahren keine Erfahrung mit Stellvertretern gesammelt und war fast immer Einzelkämpfer.

    Wir möchten also beim Vorsprechen beim Arbeitgeber alles sauber und unangreifbar vorbereitet haben; meint ihr, es reicht schlicht aus, auf die gestzliche Lage hinzuweisen? Mit welchen weiteren Argumenten würdet ihr arbeiten?
    Thematisch ließe sich hier sicher die angestrebte Erarbeitung einer Inklusionsvereinbarung für den Konzern anführen, ebenso die Ausschussarbeit oder schlicht die Menge an Klienten, die Beratung bedürfen.

    Für alle weiteren Ideen und Hinweise bin ich sehr dankbar!

    Viele Grüße,

    Daniel

  • hallo Daniel,

    ein Futter habe ich schon gegeben. Es gibt eine Aktuelle Kommentierung des SGB IX und in dieser findest du auch Hinweise zur Freistellung. Die einfach mitnehmen.

    dann mal auflisten, was alles so euer Job ist neben den teilnahmen an allen Begehungen, ASA-Sitzungen, BR und Ausschusssitzungen, betreuung der Personen etc.

    tabelle erstellen, zeiten aufschreiben (incl. der erforderlichen Vorbereitung und Nachbereitung) die erforderlich sind für die Regelarbeit (Ausschüsse, begehnungen, ASA, ASTA, WA, BR etc.) und dann aufzählen was sonst noch erledigt werden muss.

    Da kommt dann schnell eine 2,x FTE Stelle raus (also größer 350 Stunden monatlich) raus bei 400 beschäftigten Schwerbehinderten Menschen und einen Aktiven Betriebsrat/personalrat/Arbeitssicherheitskreis

  • Moin Rabauke,

    danke nochmal für den Input!
    Ich werde mich dann mal an eine Tabelle setzen und die Tätigkeiten auflisten. - Bin gespannt, wie die Personalleitung reagiert und freue mich jetzt so oder so auf die neue Aufgabe!

    Einen schönen Tag allen,

    Daniel

  • Team-ifb

    Hat das Thema geschlossen.