Kündigungsfrist langjähriger Arbeitnehmer

  • Hallo zusammen,

    wir haben Arbeitnehmer, die mehr als 20 Jahre im Unternehmen sind (nicht tarifgebunden) und die in ihren Arbeitsverträgen zur Kündigungsfrist folgenden Passus haben =

    "..der Vertrag kann dann - im zweiten Fall erstmals nach Dienstantritt - von beiden Seiten unbeschadet des Rechts zur fristlosen Kündigung mit einer Kündigungsfrist von mindestens einem Monat zum Monatsende gekündigt werden..

    ...Soweit die unabdingbaren Bestimmungen des Gesetzes vom 9.7.1926 (verlängerte Kündigungsfristen für länger als fünf Jahre beschäftigte, mindestens 30 Jahre alte Angestellte) Platz greifen, gelten diese Kündigungsfristen für beide Vetragspartner in gleicher Weise.".

    Nun ist es ja so, dass das Gesetz von 1926 inzwischen u.a. vom §622 BGB abgelöst wurde.

    Unsere Frage ist, haben die betroffenen Arbeitnehmer bei Eigenkündigung nun eine Kündigungsfrist von 4 Wochen (gem. Arbeitsvertrag bzw. §622 Abs. 1 BGB) oder gelten hier die verlängerten Kündigungsfristen?

    Wir sind der Meinung, dass die Arbeitnehmer für die Eigenkündigung die Frist von 4 Wochen (oder 1 Monat) haben, der Arbeitgeber vertritt aber die Meinung, dass für die Arbeitnehmer der §622 Abs. 2 in gleichem Maße bindend ist.

    Wer hat nun Recht, wir oder der Arbeitgeber? Wenn der Arbeitgeber recht hat, wie müssen wir das verstehen?

    Gilt hier nicht auch das Günstigkeitsprinzip zu Gunsten des Arbeitnehmers, also kürzere Kündigungsfristen?

    Wie immer vielen Dank für Eure Hilfe.

  • Hallo,

    solange nicht ausdrücklich für AN eine kürzere Kü-Frist vereinbart wurde, gelten Kü-Fristen für beide Seiten gleichmäßig und § 622 BGB ist der gesetzliche Mindestrahmen.

    Eure AV-Klausel halte ich für rechtsunwirksam, da niemandem mehr klar ist, was da eigentlich gemeint ist und somit in einer AGB-Kontrolle mE die fehlende Transparenz der Klausel moniert werden würde.

    im Übrigen ist es ein Armutszeugnis für einen AG, eine derartige uralt-Klausel einfach ungeprüft weiter zu verwenden. Das sollte dem AG eigentlich peinlich sein.

  • Hallo Wolfgang,

    nicht falsch verstehen, diese "alte" Klausel ist in den aktuellen AV nicht mehr vorhanden, aber eben halt in den Altverträgen, die 20 Jahre und älter sind.

    Uns erschließt sich jedoch nicht, wo im §622 genau steht, dass für den AN die gleichen Kündigungsfristen wie für den AG gelten.

    Unter Abs. 6 steht nur "Für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer darf keine längere Frist vereinbart werden als für die Kündigung durch den Arbeitgeber.", und das ist klar. Aber das heißt nicht, dass kürzere Kündigungsfristen für den AN ausgeschlossen sind.

    U.E. nach ist Abs. 1 ausschlaggebend "Das Arbeitsverhältnis eines Arbeiters oder eines Angestellten (Arbeitnehmers) kann mit einer Frist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden".

    Sicherlich muss man "zwischen den Zeilen" im §622 lesen, aber wo:?:

  • Warum muss man denn beim §622 BGB zwischen den Zeilen lesen?

    1) Das Arbeitsverhältnis eines Arbeiters oder eines Angestellten (Arbeitnehmers) kann mit einer Frist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden.

    (2) Für eine Kündigung durch den Arbeitgeber beträgt die Kündigungsfrist, wenn das Arbeitsverhältnis in dem Betrieb oder Unternehmen 1.zwei Jahre bestanden hat, einen Monat zum Ende eines Kalendermonats,2.

    fünf Jahre bestanden hat, zwei Monate zum Ende eines Kalendermonats, 3.

    acht Jahre bestanden hat, drei Monate zum Ende eines Kalendermonats, usw usw.dies bedeutet, dass ein AN die kürzeren Fristen als der AG hat.

  • Hallo schwede12,

    wir sehen das ja auch so, aber die Antwort von Wolfgang bedeutet ja, dass die (verlängerten) Kündigungsfristen für AG und AN gleichlang sein können wenn nichts anderes vereinbart ist.

    Was ist denn nun richtig, was falsch?

  • Nein für den Arbeitnehmer gelten die kürzeren Fristen wenn nichts anderes durch Tarif oder Arbeitsvertrag geregelt ist.

    Wenn jetzt z.B im Arbeitsvertrag eine Gleichstellungsklausel vermerkt ist dann gelten auch für den AN die längeren Kündigungsfristen.

    ..gelten diese Kündigungsfristen für beide Vetragspartner in gleicher Weise.".

    Ob ein Arbeitsrichter im Streitfall dies so beurteilen würde kann Dir aber hier keiner sagen.

    Was meint denn Euer AG welche Kündigungfristen die AN mit diesen Passus haben?

  • Hallo.

    Prinzipiell lässt der 622 eine Verlängerung der Kündigungsfristen auch für die AN zu, mit der Einschränkung: "Für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer darf keine längere Frist vereinbart werden als für die Kündigung durch den Arbeitgeber."

    Das geht aber nicht grenzenlos, da ansonsten die Berufsfreiheit der AN bedroht wäre. Hier ein in aktuelles BAG-Urteil (26. Oktober 2017 - 6 AZR 158/16) dazu, ein Auszug aus der Presseerklärung: "Bei einer vom Arbeitgeber vorformulierten Kündigungsfrist, die die Grenzen des § 622 Abs. 6 BGB und des § 15 Abs. 4 TzBfG einhält, aber wesentlich länger ist als die gesetzliche Regelfrist des § 622 Abs. 1 BGB, ist nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls unter Beachtung von Art. 12 Abs. 1 GG zu prüfen, ob die verlängerte Frist eine unangemessene Beschränkung der beruflichen Bewegungsfreiheit darstellt."

    Die Frage ist, ob der Bezugsrahmen des alten Gesetzes Geltung haben kann, ob sich also die Kündigungsfristen beidseits verlängern. Und m.E. spricht dagegen erstmal nichts, außer die Einzelfallprüfung ergäbe eben eine Einschränkung der Berufsfreiheit dadurch (die sehe ich persönlich bei der Staffelung des 622 BGB in Einzelgällen durchaus als möglich).

    Allerdings meine ich zu erinnern, dass das Gesetz von 1926 fiel, weil das BVerfG es verwarf, und was verfassungswidrig ist, kann nicht gelten. Und unabhängig davon verstößt die Altersregelung gegen EU-Recht.

    Und zudem wurde explizit vereinbart, dass der Passus nur gilt, so lange das Gesetz gilt. Ich traue mich also zu behaupten, der AV-Passus ist hinfällig; und nichts spricht imho dafür, dass er automatisch durch die Regelungen des 622 BGB ersetzt würde.

    Mein Fazit: Es gelten die gesetzlichen Fristen.

    Grüsse Winfried

    "Wenn Arbeit etwas schönes und erfreuliches wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen." (Paul Lafargue)

  • hallo Winfried,

    das sehe ich anders ;).

    der Wille der Vertragsparteien war beim Vertragsabschluss eindeutig.

    Sollten gesetzlich längere Fristen für den Arbeitgeber vorgesehen sein, so gelten diese Fristen auch für den Arbeitnehmer.

    Somit gelten für beide Seiten aus meiner Sicht die 7 Monate.

    Nun stellt sich die Frage, wie das ein Arbeitsgericht sieht.

    Wenn ich einen Vertrag vor 1993 geschlossen habe (so lange galt das Gesetz), in meinem Fall also 1978, dann schließe ich doch keinen neuen Vertrag wegen der Kündigungsfristen, wenn der Gesetzesinhalt von Gesetz A in Gesetz B übergeht.

    Der Wille ist doch weiterhin der gleiche, die nach Gesetz verlängerten Fristen gelten nicht nur für den Arbeitgeber sondern auch für den Arbeitnehmer.

    Alles andere ist für mich Rosinenpickerei.

    ein Grund warum das gesetz damals viel war. es galten deutlich höhere Kündigungsfristen für Angestellte als für Arbeiter. der Wunsch der Gewerkschaft war damals eindeutig, gleiche gesetzliche Kündigungsfristen für alle Beschäftigungsverhältnisse in der Hoffnung, dass auch die Arbeiter von den max 4 Monaten hoch kommen auf die "18 Monate" mögliche Kündigungsfrist. Nun der Gesetzgeber hat das dann gleich gezogen und auf 7 Monate für alle nach Gesetz gestrichen mit dem Zusatz, vertraglich darf auch mehr vereinbart werden.

    war nicht so ganz das, was die Gewerkschafter sich erhoft hatten, aber immerhin ein "gleichziehen".

    Was ist denn so schlimm daran, dass nun der Mitarbeiter doch früher gehen will. Wenn ich gehen wöllte (mit einer 7-monatigen Kündigungsfrist) nach nun mehr als 38 Jahren (und im Fall des Posters mindestens mehr als 24 Jahren) und ich will früher raus, dann bin ich davon überzeugt, bekommen mein Arbeitgeber und ich das gewuppt, dass ich nach so schnell gehen kann, wie es für beide Seiten genehm ist. Ziehende Pferde hält man eh nicht auf. Dann wird das Arbeitsverhältnis einfach zu einem gemeinsam festgelegten Zeitpunkt aufgelößt und fertig.

    Gruß

    Rabauke

  • Hallo Rabauke.

    Ich würde Dir ja evtl zustimmen, wenn da stünde: "eine Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfristen für den AG gilt auch für den/die AN". Es würde nicht auf ein bestimmtes Gesetz abgehoben, sondern allgemein suf die Gesetzeslage Bezug Bezug genommen.

    Hier wird aber ein Gesetz explizit genannt, das ist eine transparente Regelung, und wenn dieses Gesetz nicht mehr existiert, ist die Bezugnahmeklausel schlicht hinfällig.Dann schließt man auch keinen neuen Vertrag, wieso auch, das muss man nicht, die ungültige oder hinfällige Klausel wird durch die gesetzliche Regel ersetzt. Weiter noch, der alte Gesetzespassus und damit die Regelung verstoßen auch gegen EU-Recht, der Altersdiskriminierung wegen - noch viel hinfälliger kann eine Regelung eigentlich nicht mehr werden...

    Aber das überzeugt Dich nicht, Rabauke, den Dissens würde ich jetzt also mal stehen lassen.

    Ich würde es hier als AN darauf ankommen lassen, mit gesetzlicher Frist kündigen, und einem eventuellen Gerichtsverfahren gelassen entgegensehen.

    Und, da wiederhole ich mich, auch die Kündigungsfristen des 622 BGB können im Einzelfall anfechtbar sein, da sie die Berufsfreiheit der AN u.U. einschränken.

    Grüsse Winfried

    "Wenn Arbeit etwas schönes und erfreuliches wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen." (Paul Lafargue)

  • hallo Winfried,

    da bin ich ganz bei dir. Auch ich würde Kündigen, wenn der AG nicht bereit ist das Arbeitsverhältnis aufzulösen und dann mal schauen, was ein Gericht sagt und welchen Schaden ich dem Arbeitgeber dann begleichen muss, falls der AG denn vor Gericht ziehen wird.

    Nun sagt mein Bauch mir, darum geht es aber in dem Fall nicht. Es geht hier evt. darum, dass es einen "Sozialplan" gibt und Abfindungsregelung, und weil der MA so schnell gehen will will der AG nicht bezahlen, dann muss der MA das ganze klären, wenn er die Kohle will, aber das sagt mir nur mein Bauch.

    Nun zum AGG, auch in dem BGB §622 steht, das alles was ich vor meinem 25sten Lebensjahr gearbeitet habe nicht zählt, und wir wissen anhand von Urteilen, dass dieser zusatz nicht gilt, trotzdem steht er noch im gesetz, daher sehe ich deinen Hinweis auf das AGG hier als nicht so relevant für eine Argunetation, das Alter darf nicht herangezogen werden, fertig.

    gruß

    rabauke

  • Guten Morgen zusammen,

    erstmal vielen Dank für Eure umfangreichen Erläuterungen und Sichtweisen. Man merkt doch, dass hier langjährige Profis am Werk sind:D

    Wir konnten die Angelegenheit aber zur Zufriedenheit des AN lösen. Zwar hat sich der AG gesträubt und auf seine "verlängerte" Kündigungsfrist festgehalten, aber durch Erklärungen (und die Gefahr, dass es hier tatsächlich zu einem kostspieligen Prozess kommen könnte) konnten man den AG dann zum Einlenken bringen. Zumal besagter AN auch kein "Leistungsträger" ist, und lt. AG somit entbehrlich...

    Nochmals auch im Namen des AN Danke an Euch.

  • Team-ifb

    Hat das Thema geschlossen.